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Kultur: Lange Nacht der Bluesharps

Stars aus Polen und Tschechien dominierten das 12. Eastern Blues Festival im Lindenpark

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Stars aus Polen und Tschechien dominierten das 12. Eastern Blues Festival im Lindenpark Von Olaf Glöckner Seit Freitagnacht wissen wir es: Die europäische Bluesgöttin heißt Magda Piskorczyk – und stammt nicht aus Alabama oder Memphis, sondern aus Wroclaw an der Oder. Mehrfach zur polnischen Bluessängerin des Jahres gekürt, erobert sich die charismatische Dame aus Nachbarsland nun Schritt für Schritt den „Westen“ – und das 12. Eastern Blues Festival im Potsdamer Lindenpark war dabei eine gelungene Zwischenstation. Angekündigt als Spezialistin des „Acustic Blues“, traf sich in Magda Piskorczyks gemeinsamem Auftritt mit dem Bluesharper Michael Kielak einfach alles: Schwermütige Balladen wie „Sister“ und „I woke up this morning“, vorgetragen mit einer „schwarzen Stimme“, die wohl auch die Augen der seligen Bessie Smith erleuchten könnte. Virtuose Beherrschung der Konzertgitarre, gekonnte Flirts mit dem Bottleneck, und – last but not least – ein gelassener Umgang mit der Bass Guitar. Kratzige und doch harmonische Songversionen, die irgendwo die Grenze zwischen Blues und Lyrik auflösen. Der überragende Michael Kielak bildet mit seiner Harmonika den idealen Background für eine solche Bluesandacht. In einem früheren Interview hatte die „Göttin in Weiß verkündet: „I want my music to go in the direction of old, prewar blues, gospel and spirituals. Das tut sie dann auch, und wer im Potsdamer Publikum nicht spätestens beim Ohrwurm „Temptation Gänsehaut bekam, muss seine Blues-Seele wohl entweder verkauft oder verloren haben. Doch abgesehen von ihrer unglaublichen Stimmgewalt und für ihre Jugend ungewöhnlichen Professionalität: Mehr die leisen und bedächtigen Bluestöne sind das Markenzeichen von Magda Piskorczyk, im übrigen ein wohltuender Kontrast zum eher schrillen, wenngleich tänzerisch gediegenen und an der Harmonika perfekten Auftritt von Beata Kossowska. „Minimalistisch gut“ nannte ein hiesiger Kritiker die schnörkellose, direkte Art, mit der Magda Piskorczyk den authentischen Blues in die Herzen der „Empfänglichen“ bringt. Amen. Was konnte auf eine solche Sternstunde des Blues eigentlich noch folgen? Beata Kossowska und „LeBlue“, mit der mehr oder weniger undankbaren Rolle der Auftaktband betraut, mühten sich redlich. Mit einer Mischung aus polnischem und irischem Folk, Funk und Blues – und am Ende sogar orientalischen und lateinamerikanischen Rhythmen – inszenierte die Kossowska, als eine der besten Harmonikaspielerinnen der Welt gehandelt, dann auch die fast perfekte Show. Besonders das dynamische Zusammenspiel mit dem Rock- und Jazzgitaristen Piotr Maciak bestach, andere Passagen wirkten überladen und krampfhaft lustig. Das Lindenparkpublikum ging dennoch mit und honorierte solch gewagten Spagat zwischen bluesigen Rhythmen a lá „Canned Heat“ und einem kitschigen finalen Medley a lá „Ach, du lieber Augustin“, never mind, mit viel Beifall. Auch die dritte Band des Abends, „Lady I & the Bluesbirds“, wurde von einer Dame der Schöpfung dominiert: Ivana Konopaskova, mit ihrer Gruppe ebenfalls schon zur besten tschechischen Bluesband gekürt, ist den Kennern der Szene keine Unbekannte: 1987 gründete sie „Blues Bujon“, eine Band, die mehrfach mit dem Altmeister des Bluesharp, Carey Bell, auftrat und später das „Gerüst“ für die „Bluesbirds“ stellte. Ivana ist sich treu geblieben, interpretiert und improvisiert noch immer mit Vorliebe Janis Joplin – und hat dabei erstklassige Instrumentalisten wie den Gitarristen Milan Spacek hinter sich. Mit „Lady I & the Bluesbirds“ füllte sich dann endlich auch die Tanzfläche im Lindenpark. Besonders elektrisierend ihre Blues’n Boogie-Einlagen und die brillant durchgespielten Songs „Red Man“, „Everyday I have the Blues“, „Sweet Home Chicago“ – als Höhepunkt dann ein leidenschaftlich vorgetragenes „Rock Me, Babe“. Ivana Konopaskova, die sich mit der Energie einer Tigerin hin- und herbewegte, besaß aber auch den Mut, in Tschechisch zu singen, nur um sich dann wieder im Handumdrehen an der Harmonika zu verausgaben. Die „lange Nacht der Bluesharps“ war längst in einen prickelnden Morgen übergegangen, als sich der deutsche Anteil des Eastern Blues zu einem begeisternden Finale mit Boddy Bodags Ostberliner „Engerlingen“ entwickelte. Natürlich wurde hier das klassische Repertoire von „Cadillac“ und „Legoland“ bis hin zum „Muschellied“ abgefordert, und wie in alten Zeiten entwickelte sich bei den Instrumentalisten ein euphorischer „Wettlauf der Spielfreudigen“. Heiner Witte (E-Gitarre) und „Ufo“ Albinger (Saxophon) spielten sich gegenseitig in einen förmlichen Rausch – und hatten wohl das Glück auf ihrer Seite, vom Publikum irgendwann doch noch losgelassen zu werden. Bis dato hatte der Lindenpark schon mehr als fünf Stunden den Blues, und die ursprünglich angekündigte Gesamt-Session fiel aus. Nachschlag für die ganz heißen Fans gibt es am 27. November mit „Engerling“, „Lady I & the Bluesbirds“, Beata Kossowska und Magda Piskorczyk noch einmal beim Berliner Eastern Blues Festival im Kesselhaus der Kulturbrauerei.

Olaf Glöckner

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