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Abzug. Soldaten 1991.

© M. Schulz-Fieguth

Filmmuseum Potsdam: Längst verhallte Schreie aus Krampnitz

Das Potsdamer Filmmuseum erinnerte mit einem Dokumentarfilm an den Abzug der sowjetischen Streitkräfte.

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Es sind Bilder aus längst vergangenen Zeiten: Soldaten, die übers Kasernengelände marschieren, Panzer fahren durch den Sand, Jagdflugzeuge durchpflügen den Himmel. Und Gesichter, immer wieder Gesichter: Manche scheu, manche streng, manche der jungen Männer gucken auch entspannt in die Kamera.

Für ihren Film „Leb wohl Deutschland – Der lange Marsch der sowjetischen Armee“ hatte die Regisseurin Gitta Nickel sowjetische Soldaten aufgesucht, die in Ostdeutschland stationiert waren. Am vergangenen Dienstag wurde ihr – mittlerweile ein Vierteljahrhundert altes – Zeitdokument im vollbesetzten Filmmuseum gezeigt. Der Film kreist um die Geschichte der Familie Bersarin – Kurzew. Major Nikolai – Kolja – Kurzew war 1991 stellvertretender Regimentskommandeur in der Garnison Krampnitz im Norden Potsdams, sein Großvater Nikolai Bersarin Berlins erster sowjetischer Stadtkommandant nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Kamera fängt die Stimmung ein, die beim Abzug der sowjetischen Streitkräfte herrschte – und die Unsicherheit über die Zukunft. Ob Bersarins Enkel nun als Verlierer gehe, fragt der Film – der den Zuschauer allerdings leider allzu oft ratlos zurücklässt. Häufig wird nicht klar, welche Filmsequenz an welchem Ort gedreht wurde. Auch wirken die Kommentare des Sprechers zu den dazwischen geschnittenen Kriegsszenen wie aus einem DDR-Geschichts- oder Propagandafilm. Vielleicht stammen sie ja tatsächlich dort her.

Nicht nur Regisseurin Nickel durfte 1991 in Krampnitz Aufnahmen machen. Auch die Potsdamer Fotografin Monika Schulz-Fieguth erhielt damals die Erlaubnis, jenes zu DDR-Zeiten hermetisch abgeriegelte Kasernengelände in Potsdams Norden – das die Stadt derzeit als Wohngebiet entwickeln will – zu besuchen. Mit der Kamera hat sie die sich langsam auflösende Sowjetszene für die Nachwelt festgehalten. „Sie waren dankbar, dass wir da waren“, sagt die Fotografin heute über die Sowjetsoldaten, die sie damals in Krampnitz traf. „Ganz normale junge Leute“, mit verschiedenen Nationalitäten, friedlich nebeneinander in der Kaserne lebend, habe sie in Krampnitz gesehen, sagte die Fotografin am Dienstag. Die Militärs seien zunächst scheu und ängstlich gewesen, sie selbst hatte schon zu DDR-Zeiten Kontakt zu Sowjets gehabt. Mit ihren Eltern lebte sie in der Hegelallee direkt neben der sowjetischen Kommandantur. „Es gab viele Nächte, in denen wir die Schreie der Soldaten hörten, die da unten im Keller verprügelt wurden“, so die Fotografin. Als sie im Winter 1989/90 in ihrem Trabant mit einer sowjetischen Freundin, der Ehefrau eines in Potsdam stationierten Militärangestellten, über die Glienicker Brücke zu einem West-Berliner Supermarkt mit seinen reich gefüllten Regalen fuhr, da sagte ihre Freundin: „Meine Mutter hungert in Nowosibirsk und ihr Deutschen habt es wieder mal geschafft.“ Bersarins Enkel Kolja Kurzew, den Schulz-Fieguth bei ihren Aufnahmen in Krampnitz traf, prophezeit in Nickels Film übrigens ein „gemeinsames Haus Europa“ – eine Formulierung, die auch Gorbatschow einst verwendete. Spätestens da wird einem klar: Der Film mag aus längst vergangenen Zeiten stammen – beklemmend aktuell ist er trotzdem. 

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