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Kultur: Lärmstrotzend

Junge Philharmonie in der Erlöserkirche

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Was denn, schon wieder eine Bearbeitung der Mussorgskyschen „Bilder einer Ausstellung“? Das mag sich mancher gefragt haben, als er zu Beginn des Eröffnungskonzertes der Benefiz-Reihe „Musikschulen öffnen Kirchen“ am Sonntag in der Erlöserkirche durch die Junge Philharmonie Brandenburg zu einem Galeriebesuch mit neuen Erläuterungen der Klangexponate gebeten wurde. Als Dirigent der Vereinigung der besten Nachwuchsmusiker des Landes, sozusagen der renommierten Edelmarke unter den Landesjugendsinfonieorchestern, hatte sich Aurélien Bello zu eigenem „Bilder“-Sturm entschlossen, weil ihm die repertoireübliche Ravel-Fassung nicht gut und richtig genug erschien, wie er dazu im Programmheft schreibt. Obwohl er ihr attestiert, sie sei in „ihrer Raffinesse und ihrem Einfallsreichtum unübertroffen“, vermisse er jedoch „Mussorgskys originalen und originellen Orchesterklang“. Außerdem habe der französische Orchestrierer Instrumente wie Saxophon, Bassklarinette, Kontrafagott verwendet, die der Komponist nicht benutzt habe. Na und ? Die von ihm erstrebte rustikale Derbheit und Direktheit haben andere Arrangeure wie Gortschakow weitaus besser getroffen. Und so ist das Bellosche Ergebnis eine eher traditionelle, unaufgeregte, wenig originelle Neuinstrumentierung, die sich vieler Ravelscher Einfälle bedient.

Voller freudigem Spieleifer, präzise im Zusammenspiel, mit klangschöner Geschmeidigkeit nehmen die Musiker ihre Aufgabe als tönende Bilderklärer wahr. Freundlich laden sie zu leichtfüßigem Start der Galeriewanderung ein. Auch bei den späteren Promenaden sorgen sie für einen zügigen Fortgang. Kurz phrasiert charakterisieren sie einprägsam das ruppige Gebaren und den torkelnden Tanz eines Gnoms. Da wird schweres Blech von sonorer Fülle eingesetzt und kräftig auf die große Trommel geschlagen. Doch auch an den anderen Pulten sind die jungen Musiker lustvoll beim Tonmalen. In weiche, geheimnisvolle und dunkle Klänge tauchen sie das wie von Mondlicht umflossene Alte Kastell, während ihnen die Kinderspiele in den Tuilerien wie auch das Ballett der Küken in ihren Eierschalen ein wenig zu gemütlich geraten. Satte Streicher für den reichen Juden Goldenberg, gestopfte Trompeten für den weinerlichen Bittsteller Schmyle zeichnen sehr anschaulich die entsprechende Genreszene. Schade, dass dem Marktplatz von Limoges die farblichen Glanzlichter fehlen, die skurrile Hütte der Baba Yaga und das vor Pathos nur so prunkende Große Tor von Kiew in Lärmorgien enden.

Das lässt nichts Gutes für die hell getönte und kraftstrotzende Wiedergabe von Peter Tschaikowskys konfliktberstender 4. Sinfonie f-Moll op. 36 erahnen. Die Ohren werden nicht enttäuscht, was ausschließlich aufs Konto des Dirigenten Aurélien Bello geht, denn die Musiker führen ja nur das aus, was ihnen während der Proben eintrainiert worden ist. Der Kritikpunkte gibt es viele: Lautstärke statt Intensität, Effekte statt Emotionen, Veräußerlichung statt geistiger Durchdringung. Leider holpern die Übergänge vom Dramatischen ins Lyrische, gibt es statt großer Bögen viel Kurzatmigkeit. In dieser knackig lauten Lesart zerfasert die sinfonische Entwicklung. Erschütterung stellt sich dem Hörer kaum ein. Dafür entschädigen die schwelgende Hörnergruppe, die kantablen Soli von Klarinette, Oboe und Flöte umso mehr. Kaum ist diese Wiedergabe für Hörgeschädigte im mehrfachen Fortissimo beendet, tobt der Jubel. Die Seele Tschaikowskys dagegen weint bitterlich. Peter Buske

Peter Buske

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