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Von Heidi Jäger: Launiges Morden

Das Wandertheater Ton und Kirschen begeistert mit Monster-König Ubu auf dem Pfingstberg

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Sie reisen mit ihrem Thespiskarren bei Wind und Wetter durch die Lande. Solange die angeklebten Nasen nicht vom Regen weggespült werden, wird gespielt. Zwischen ihrer erfolgreichen Frankreichtournee und der bevorstehenden Erbauung feuergeschädigter Moskowiter, residiert das Wandertheater Ton und Kirschen fast vor der Haustür: am Belvedere auf dem Pfingstberg. In ihrem Gepäck haben sie keinen Geringeren als „König Ubu“, den der französische Autor Alfred Jarry vor über 200 Jahren unter großen Tumulten erstmals unters Volk brachte.

Dieser dicke Wurstel hat es wirklich in sich. Nur leider nichts Gutes. Aufgeblasen wie ein Luftballon hinterlässt er ohne Scham und Reue eine breite Blutspur. Was er nicht selbst an Bosheit und Habgier einbringt, steuert seine Gattin, Mama Ubu, bei. Wie im Märchen vom „Fischer und seine Frau“ ist auch sie eine „Raupe Nimmersatt“. Um die Königskrone endlich auf ihren vogeligen Kopf zu bekommen, stiftet sie Vater Ubu schon mal zum Mord am polnischen König an. Ubu braucht nicht lange, um sich überzeugen zu lassen und zum Schwert zu greifen. Es wird nicht der letzte Kopf sein, den er damit rollen lässt. Unter dem von ihm befehligten Fallbeil häufen sich geradezu die abgehackten Schädel. Da kommt der Henker fürwahr ins Schwitzen. Im Nu verschwinden die Toten allesamt in der Häxelmaschine. Einmal an der Macht, macht Ubu in einfältiger Skrupellosigkeit Hackfleisch aus den Adligen, deren Land er gierig einheimst. „Du bist allzu grausam, Vater Ubu“, gemahnt sogar dessen Weib.

Shakespeares Helden sind Waisenknaben gegen diese meuchelnde Bestie. Dennoch hat der Zuschauer bei dieser überarbeiteten Wiederaufnahme der Ton und Kirschen-Inszenierung durchaus Spaß, dem skrupellosen Treiben des Fettwanstes auf dünnen Beinchen zuzuschauen. Das Wandertheater aus Glindow verpackt ihren Ubu in eine lustvolle Parodie, die mit poetisch-grotesker Verzauberung, originellen Requisiten und zupackendem Spielspaß begeistert. Schnell hört sich der Zuschauer in die verschiedenen Akzente der internationalen Darstellerriege ein, die vor allem mit ihrer Körpersprache aufzutrumpfen weiß und von Margarete Biereye und David Johnston als Königspaar Ubu in schräger Launigkeit angeführt wird.

Mit Pauken und Trompeten ziehen die Soldaten schmetternd ins Feld. Gern erliegt der Zuschauer der Täuschung, wenn ihm Massen vorgegaukelt, Landschaften behauptet werden. Die Inszenierung überrascht mit immer neuen Bühnenideen von Daisy Watkiss, mit Puppenspiel und auch vierbeinigen Akteuren, die ein Schaudern provozieren. Meterhoch bäumt sich plötzlich Bär Mischka vor den nächtlichen Kriegern auf, der natürlich bei einer Schlacht im russischen Wald nicht fehlen darf. Denn der russische Zar kommt plötzlich auf den Plan, um Ubu, dem Tyrannen, den Garaus zu machen.

Es hätten durchaus noch mehr Brüche sein dürfen, die auch mal den Atem stocken lassen oder an die Gefühle rühren. So als der Sohn des gestürzten Königs mit seiner todkranken Mutter im Schlitten das Weite sucht und Flocken über die gesunkenen Häupter fallen. Leise Musik umhüllt das Sterben im Schattenwurf des Belvedere.

Doch diese Aufführung setzt statt auf Herzzerreißen und scharfer Zähne mehr auf Slapstick und Schwejkschen Humor: Ummalt von Licht, Feuer, Qualm. Das Auge hat zu tun, in der Sinnesflut oben zu schwimmen und den raschen Verwandlungen zu folgen. Moralinsaure Bekehrung oder psychologisierende Tiefenbohrung haben da keinen Platz. Dafür schwebt der abtrünnige Hauptmann Bordure, der gegen Ubu opponiert, wie einst Charlie Chaplin in „Der große Diktator“ förmlich durch die Szene und legt mit seiner federleichten „Choreografie“ fast einen Kasatschok auf die regenfeuchte Bühne. Gegen seine Schnittigkeit sieht Ubu noch lächerlicher aus. Mit einer Pfanne als Panzerhemd und einem saugstampfenden Kloreiniger als Waffe erinnert er eher an einen gratinierten Kürbis als einen Angst einflößenden Heeresführer.

Doch selbst auf hoher See will das aufgedunsene Monster das Ruder an sich reißen, bis das große Segel – eben noch Vorhang – zerbirst. Oh, welche Dramatik! Am Ende des Sturms fällt á la Tschechow eine Möwe tot zu Boden. Hat das Morden nun ein Ende? Genaues weiß man nicht. Die Nacht legt ihre tiefen Schatten verheißungsvoll über die Kulissen.

Am kommenden Donnerstag bis Samstag, jeweils 20 Uhr, am Belvedere auf dem Pfingstberg. Tickets im Internet auf www.ticketonline.de, an der Kasse des Belvedere und im Restaurant „Am Pfingstberg“. Im Vorverkauf 16 Euro, ermäßigt 13 Euro und an der Abendkasse 18 Euro, ermäßigt 15 Euro

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