Kultur: Leben mit Efim G. Etkind
Elke Liebs liest aus „Die Melancholie des Glücks“
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Als Anfang der 90-Jahre an der University of Oregon in Eugene die deutsche Professorin Elke Liebs und der in Frankreich lebende russische Literaturwissenschaftler, Autor und Übersetzter Efim Etkind zusammentreffen, liegt hinter beiden bereits ein gutes Stück gelebten Lebens. Dass ihre Begegnung zum Beginn einer abenteuerlichen Liebe wird, die die west-östlichen Lebenslinien bis zu Efim Etkinds dramatischem Tod 1999 in Potsdam fest zusammenfügt, ahnen damals beide nicht.
Jetzt, mit dem Abstand von fast anderthalb Jahrzehnten, erzählt Elke Liebs in dem autobiografischen Buch „Die Melancholie des Glücks. Leben mit Efim G. Etkind“ (Verlag united p.c., 21,30 Euro) von ihrer gemeinsamen Zeit als von einem kostbaren Geschenk.
In die Lebensgeschichte Efim Grigorievich Etkinds sind die Katastrophen, Schmerzen und Widersprüche des 20. Jahrhunderts untilgbar eingeschrieben: 1918 in Leningrad geboren und jüdischer Herkunft befreite Etkind als junger Offizier der Roten Armee auch das Konzentrationslager Ebensee mit. Später, als Lehrer am Herzen-Institut in Leningrad, war er immer wieder Kampagnen und Angriffen staatlicher Stellen ausgesetzt, die ihm sein Engagement für den späteren Literatur-Nobelpreisträger Jossif Brodskij in dessen Schauprozess 1964 ebenso wenig verziehen wie den Kontakt mit Alexander Solschenizyn, dem Autor von „Der Archipel Gulag“. 1974 wurde er aus der Sowjetunion ausgewiesen – nachdem ihm der Entzug der Professur, die Aberkennung von Doktortitel und Lehr- und Publikationsrecht und Verhöre durch den KGB jegliche Existenzgrundlage genommen hatten.
Frankreich war dem „Dissidenten wider Willen“ längst zur zweiten Heimat geworden, als er Elke Liebs, seine zweite Frau, kennenlernte. Um das Glück des Beieinanderseins, zunächst in Paris, dann in Berlin und Potsdam, zwischenzeitlich oft in St. Petersburg, zentriert sich ihr Buch. Dabei hangelt sich der Erzählfluss nicht an den chronologischen Lebensdaten des renommierten Wissenschaftlers entlang, zu dessen Freunden Lew Kopelew, Heinrich Böll, Christa Wolf, Jossif Brodskij oder Gidon Kremer zählten. Vielmehr sind es die sehr persönlichen Erinnerungen an das Wunder eines mit dem geliebten anderen geteilten Alltags, aus denen die Autorin „Koordinaten eines durch und durch ungewöhnlichen Menschen“ entstehen lässt: gemeinsames Schreiben am Küchentisch in Potsdam, Besuche bei Freunden in St. Petersburg und anderswo, familiäre Verstrickungen und Familientreffen, zahllose Reisen, vertraute Gespräche am Abend oder einfach Konflikte über unvernünftiges Autofahren. Eingefügt sind mehrere von Efim Etkind selbst verfasste autobiografische Geschichten, in denen sich die Brüche des vergangenen Jahrhunderts spiegeln.
„Die Melancholie des Glücks“ ist vieles zugleich: berührendes Zeugnis einer Liebe, eine Hommage für Efim Etkind, ein Stück Zeitgeschichte. Und – nicht zuletzt – ein Lesestoff, mit dem Nächte kurz werden können. Gabrielle Zellmann
Elke Liebs liest am heutigen Freitag um 19 Uhr aus „Die Melancholie des Glücks. Leben mit Efim G. Etkind“ im Autonomen Frauenzentrum in der Schiffbauergasse
Gabrielle Zellmann
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