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Kultur: Leben und Tod Poetry-Slam in Reithalle

in Zeiten des Terrors

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Es ist eine epische Schlacht: Die Toten treffen auf die Lebenden, nur einer kann gewinnen. Na gut, ganz so martialisch ist es doch nicht, wenn in der Poetry-Slam- Reihe „Dead vs. Alive“ der literarische Nachwuchs die Klassiker aus dem Grabe holt und herausfordert. Und wen wir da alles schon gesehen haben: Shakespeare, Brecht, Herrndorf – die Toten werden kurzerhand vom Ensemble des Hans Otto Theaters reanimiert. Immerhin geht es ja um eine Flasche Absinth als Siegprämie.

Am Mittwoch, einen Tag nach dem Terrortag von Brüssel, wurde es mal wieder Zeit für ein Battle in der zuverlässig ausverkauften Reithalle in der Schiffbauergasse: Die PotShow-Moderatoren Maik Martschinkowsky und Sebastian Lehmann moderierten sich durch den Wettkampf, bei dem vier Jungdichter gegen vier Ensemblemitglieder des Hans Otto Theaters antreten. Fünf Gäste müssen stellvertretend Punkte zwischen eins und zehn verteilen – wer die meisten Punkte hat, gewinnt. Aufgabe der Jury: sich nicht vom Publikum beeinflussen zu lassen. Aufgabe des Publikums: die Jury zu beeinflussen.

Team Lebendig begann mit Marvin Weinstein, dessen Performance über die Kraft des Lachens vom Format her eher ein Klassiker sein dürfte: Ausdruck und Reimschema sind aus dem Baukasten für guten Deutschunterricht. Mehr punkten konnte Team Tot, das erstmals nicht mit einem Schauspieler, sondern einem Dramaturgen startete: Christopher Hanf rezitierte mit zotteliger Perücke Les Daniels mit einem trashigen Zombie-Splatter-Konglomerat – 40 Punkte.

Der Schlag zurück kam von Ahne, der sich ganz auf seinen Dauerbrenner „Zwiegespräche mit Gott“ verließ – und damit die Vorhölle des Tagesgeschehens ins Bild rückte, inklusive Frauke Petry und Sahra Wagenknecht. Schwerer Start für Elzemarieke de Vos, die eine ergreifende Abrechnung mit der Schauspielerei aus Tschechows „Möwe“ herausamputierte – und damit bewies, was für eine wahnsinnig gute Schauspielerin sie ist. Eine großartige Schriftstellerin dagegen ist Zoe Hagen, die mit „Tage mit Leuchtkäfern“ gerade ihr jüngstes Buch veröffentliche. „Scheiß auf fremde Erwartungshaltung“, flehte sie in einem Brief ihren Bruder an. Hendrik Duryn, Stiefvater der HOT- Schauspielerin Nina Gummich, die später noch einen Auftritt hatte, nahm den Tod sehr wörtlich: mit dem Monolog eines unbekannten Autors, der an einem Flughafen über „Heuchelei und Blutvoyeurismus“ sinnierte: der Monolog eines Sterbenden, mitten im Terror-Dauerfeuer. Das kam an. Da wirkte Daniel Hoth mit einem Rap über Paul, den veganen Dinosaurier, fast deplatziert, strich aber gute Punkte ein. Ebenso wie Holger Bülow, mit Strickpullunder und Brille mal wieder die Personifikation des Minderbemittelten mit reichlich Nörgelei.

Vielleicht nicht der größte Jubelabend der Slam-Poetry-Geschichte, aber immerhin blieb es ein solider Abend mit dem nötigen Tiefgang. Was soll man auch sagen, wenn einem die Weltgeschichte ständig dazwischenfunkt. Zum Schluss reichte es jedenfalls ganz knapp für die Lebenden zum Sieg – was ja auch irgendwie ein Statement war. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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