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Kultur: Lebendige Kunstgeschichte

„66 Editionen“ von 22 Künstlern im Kunsthaus Potsdam

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„66 Editionen“ von 22 Künstlern im Kunsthaus Potsdam Schon von außen erkennt man die Neudefinition des ehemaligen Pferdelazaretts der Garde-Ulanen-Kaserne: Vom Dach aus balanciert ein Könner auf einer Stange und hält dabei bewundernswerter Weise das Gleichgewicht. Die Figur von Hubertus von der Goltz darf dort ihr Kunststück schwebend vorführen, anders als auf dem Nauener Tor. Schade, aber um so besser, dass es das Kunsthaus Potsdam möglich macht, nicht nur diesen eigenwilligen Bildhauer erneut schätzen zu lernen, sondern, wie in der aktuellen Ausstellung, weitere 21 Künstler. Namen wie Armando, Silvia Breitwieser und Frenzel klingen vertraut. Die Schau ist eine Kunstgeschichte im Kleinen, zeigt sie doch Positionen aus den sechziger Jahren bis heute. Dabei bedrängen sich die Exponate nicht, sie heben sich auch nicht gegenseitig auf, vielmehr verstärken und kommentieren sie sich. Betritt man die große Kunsthalle, schreit einem lautlos das Gelb einer großformatigen Radierung von Frank Michael Zeidler entgegen. Zeidler, der zu den Mitbegründern des Kunsthauses gehört, arbeitet schon seit einigen Jahren an seinen „Gelblingen“, mit Stift gezeichneten Linien, Ballungen und Haufen dieser einzigen Farbe. Der Gelbling scheint sich schützend nach rechts zu bewegen, wo zwei Arbeiten aus den 60er und 70er Jahren von Martin Engelmann hängen. Der 1992 verstorbene Holländer, der lange Zeit in Berlin lebte, überzeugt mit den Lithographien „Au cirque“ und „Je viens te dire bonjour petit roi“ spielerisch und leicht, indem er von der Goltzens Thema des Balancierens aquarellbunt vorwegnimmt. Pomona Zipser stellt eine Bronze-Skulptur von 1996 in den Raum, die sie „Sonntagsspaziergang“ nennt, und in der Tat lässt sich das filigrane Gebilde als stolze Dame mit Hund interpretieren. Unweit davon hat Oliver Zabel das Foto eines küssenden Paares als „Temps d“arrêt“ mittels steriler Flüssigkeit in eine Flasche gebannt, ja, wie schön wäre es, solche Momente ewig festzuhalten. Seine Duchamp-artige Ironie zeigt sich auch in „Hase vor Landschaft“, der an Beuys gemahnende Wachs-Hase in einem Holzkasten vor einem Grasbüschel, als habe ihn die Kunstgeschichte in seinen Fängen. Dabei korrespondiert er heimlich mit der „T-Rose“, einer in einem Glas eingesperrten gelben Rose mit Tigermuster aus Brigitta C. Quasts Sammlung „Spuren des Tigers“ im Obergeschoss. Und dort befindet sich auf einer Empore auch die „Blaue Wurst“ des Pop-Art-Künstlers Wolfgang Rohloff von 1977, aufgeschnitten offenbart sie ihr tigerfellähnliches Inneres. Nach diesen konkreten Ausbrüchen wilder Fantasie liefert der Konstruktivismus gedankliche Kühle: Rudolf Valenta zieht auf schwarzem Untergrund messerscharf die roten, blauen und gelben Linien der „untergeordneten Konstruktion“. Nichts von dieser Strenge zeigt Michaela Habelitz in ihren beiden 2005 entstandenen „Höhlengleichnissen“: Kängurus, Straußen, Dromedare und weitere exotische Tiere, vorsorglich von der Speiseindustrie als Backform in Plastiktafeln gepresst, wurden von der Künstlerin scheinbar nachlässig auf den leuchtend roten Grund geklebt. Und jetzt kann man ausnahmsweise mal von Geld reden: Habelitz liegt mit den geforderten 320 Euro noch über dem Niedrigstpreis, den Ursula Pischel für ihre „unsichtbar“-Objekte (70 Euro), die durchaus ein wenig sehen lassen, möchte. Und weit unter dem 5000-Euro-„Stier“ von Hans Scheib: ein trotzig auf das Ensemble starrendes Hörnervieh, das seinen Stoizismus angesichts der assoziationsreichen, für bestimmte Kunstrichtungen repräsentativen Stücke und Arbeiten wohl nur mühsam aufrecht erhalten kann. Sehenswert, informativ, zum Teil innovativ und zudem noch erschwinglich: Welche Ausstellung kann das noch von sich behaupten? Lore Bardens Zu sehen bis 20. November.

Lore Bardens

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