Kultur: Lebensentscheidung
Andreas Altmann und Thomas Kunst bei „Huchel“
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Andreas Altmann und Thomas Kunst bei „Huchel“ Als zwei wichtige Dichter ihrer Generation stellte der Literaturwissenschaftler Peter Geist die beiden Autoren Andreas Altmann und Thomas Kunst vor. Beide lasen vor einem kleinen Publikum im Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst. Es war der 15. April, an dem Erich Arendt 102 Jahre alt geworden wäre, der Dichter, der nach Peter Huchel das Haus in Wilhelmshorst bewohnte. Andreas Altmann und Thomas Kunst gehören zur nächsten Generation. Er habe bis Ende der achtziger Jahre keine fremden Gedichte gelesen, meinte der 1963 in Hainichen/Sachsen geborene Andreas Altmann. Was ihm wohl zum einen zur eigenen Sprache verholfen, zum anderen ein Lesedefizit beschert habe. Entgegengesetzt war der Weg bei Thomas Kunst (1965 in Stralsund geboren), der mit Anfang Zwanzig Erich Arendt und Paul Celan mit Hingabe las und kopierte, bis er nicht mehr wusste, wo er selbst stand. Leicht amüsiert berichteten beide Dichter über ihre Anfänge, doch auch mit etwas Wehmut. Jugendliche Lust und Kraft müssen sie jetzt bewusst aktivieren und zu bewahren suchen. Wobei Thomas Kunst als Person und in seinen Gedichten diesem jugendlichen Lebensgefühl nach wie vor verhaftet zu sein scheint. Als eine Art „Kampfansage“ bezeichnete er das Gedicht, das er seinem gerade erschienenen sechsten Gedichtband vorangestellt hat: ...Die schönen, vertrockneten/ Gedichte sind noch lange nicht/ Am Ende, auch wenn sich all die anderen/ Jungen, nachstoßenden Gedichte schon wie/ Glatte, ausgereifte Seminare gebärden,... Ich will sie/ Euch wieder zurückbringen. Die mutwillige/ Schönheit der Gedichte. Und den naiven/ Reichtum an Beziehungstrost und Wut. ... Den universitären Seminaren hatte sich Thomas Kunst schnell abgewandt, er hätte ohnehin nicht das studieren können, was er wollte. Sein Verhältnis zur Partei war nicht das gewünschte. So landete Thomas Kunst 1986 in der Deutschen Bücherei Leipzig. Ihm gefällt dieser Broterwerb bis heute. „Poesie muss eine Lebensentscheidung sein.“ sagte Thomas Kunst, der allen misstraut, die studiert und promoviert sind und sich Dichter nennen: „Es gibt heute keine Dichterbiografien mehr.“ Aufgrund seines Jobs schreibt Thomas Kunst nur sonntags. Da lässt er sich dann von dem Klang eines norwegischen Frauennamens zum Sonett inspirieren: Ich sah die Dämmerungen sinken, Gry,/ Im Norden, an den Fähren, laß uns trinken/ ... Wie lange reicht die See noch an die Steine./ Bemühungen erkennt man am Geräusch./ Mein Mund muß nicht der Anfang deiner Hände/ Sein, die Augen sind im Herbst das eine./ Ich weiß nicht, wie man eine Liebe täuscht,/... Doch den schönen Klängen misstraue er zunehmend und suche Genauigkeit: „Ich möchte nur noch über das schreiben, was ich weiß.“ Auch Andreas Altmann, der beim Lesen nichts zu seinen Gedichten und den Umständen ihres Entstehens sagt, geht es mehr um Genauigkeit als früher. Doch vor allem gehe es ihm um das Vergleichen und Verweben von Natur und Kultur. Mit ruhiger Stimme las er seine Gedichte, auch noch unveröffentlichte. Und so schwer sie einen zunächst einließen, mit ihren ungewohnten, überraschenden Wortzusammenstellungen, den unbelebten Sachen, die etwas tun, als wären sie Menschen, so nehmen sie einen doch mit auf ihre faszinierenden Wege, die immer unglaublicher werden: schlaf hat bäume in die augen gestellt,/ schlank bis zu den wolken,/ mit rauhen rinden. an den stämmen/ stürzt der regen. ich hab noch nie geweint./ will die augen schließen, reibt sich/ das holz und splittert in den blick./... Andreas Altmann lebt in Berlin und verdient sein Geld mit der Betreuung geistig behinderter Menschen. Sein Notizbuch hat er immer dabei. Nicht nur, weil er unterwegs schreibt, statt am Schreibtisch, sondern auch, weil er die einzigartigen Bilder nicht verlieren will, wenn sie plötzlich in seinem Kopf auftauchen und zu Worten werden. Dagmar Schnürer Andreas Altmann „Augen der Worte“, Rimbaud Verlagsgesellschaft 2004, 13 Euro. Thomas Kunst „Was wäre ich am Fenster ohne Wale“ Frankfurter Verlagsanstalt 2005, 15,90 Euro.
Dagmar Schnürer
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