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Von Klaus Büstrin: Lebensgefährliche Liebe

Das Poetenpack Potsdam zeigt George Taboris Farce „Mein Kampf“ im T-Werk

Stand:

„Komisch, Sie sehen gar nicht jüdisch aus“, sagt Schlomo Herzl zu Adolf Hitler. Zum jungen Hitler aus Braunau am Inn. Der kommt eines Tages im Jahre 1910 ins Männerheim unter Frau Merschmeyers Metzgerei in der Wiener Blutgasse, wo sonst nur Juden Unterkunft suchen. Kunst will er an der Akademie studieren, wird jedoch abgelehnt. Eine hoffnungsvolle Zukunft bricht für ihn zusammen. Die väterliche Fürsorge des großen Menschenfreunds und Buchhändlers Schlomo, der seine noch nicht geschriebenen Memoiren „Mein Kampf“ nennen will, rettet Hitler vor dem Selbstmord. Schlomo rät ihm, in die Politik zu gehen. Lobkowitz, ebenfalls ein Heiminsasse, meint prophetisch, dass die Liebe Schlomos zu Hitler lebensgefährlich sei.

George Tabori schrieb 1986/87 eine Farce über diese so seltsame Begegnung. „Mein Kampf“ nannte er das Theaterstück und es wurde zu seinem berühmtesten. Realität und Fiktion überschneiden sich kunstvoll. Das Poetenpack Potsdam nahm es nun in seinen Spielplan auf und zeigt es auf der Kammerspielbühne des T-Werks in der Schiffbauergasse. Am Sonntagabend gab es eine mit großer Zustimmung aufgenommene Potsdamer Premiere.

Regisseur Andreas Hueck hatte das richtige Händchen für Taboris tiefschwarzen Humor. Unterstützt wurde er von der Bühnen- und Kostümbildnerin Janet Kirsten, die einen karg-tristen, doch stimmigen Schlaf- und Wohnraum schuf. Die in Teilen gewitzte und groteske, aber im Ganzen traurige Komödie über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse erzählt Hueck plastisch und eindrucksvoll, wenn man von dem etwas gedrechselten und sich in die Länge ziehenden Ende einmal absieht. Es gibt anscheinend immer wieder Schwierigkeiten mit Kürzungen. Wohl wegen der Symbolik, die sich so reichlich ansammelt. Eine Überzeichnung fand immer dann statt, wenn sie am richtigen Platz war.

Jede Inszenierung von „Mein Kampf“ stellt unübersehbar und unüberhörbar die Frage: Kann man durch Güte den Teufel zum Guten bekehren? Die Antwort lautet: Nein, kann man nicht. Der Regisseur macht dies in der Poetenpack-Aufführung mit seinen sieben Darstellern sehr deutlich. Glücklicherweise stehen Andreas Hueck besonders für die Hauptrollen exzellente Schauspieler zur Verfügung. So ist Teo Vadersen, den man noch als Dorfrichter Adam in Kleists „Zerbrochenem Krug“ in köstlicher Erinnerung hat, ein wunderbarer Schlomo. Er spielt eine wahre Seele von einem Menschen. Das religiöse und literarische Wissen des Juden serviert er treuherzig, wie nebenher, doch stets mit Humor, gestisch sensibel und mit Lust am Disput. Doch es gibt auch sehr schöne stille Momente, die bewegen. Vadersen spielt diese tragikomische und liebenswerte Gestalt immer mit Genauigkeit. Und die Unendlichkeit jüdischen Leids steht diesem Herzl im Gesicht geschrieben, wenn er während der gewalttätigen Suche nach dem Buchmanuskript „Mein Kampf“, in dem Hitler für ihn unangenehme Begebenheiten vermutet, zusehen muss, wie sein geliebtes Huhn Mizzi von dem Schlächter Himmlischst (Thomas Mai) in einer wilden Orgie zerstückelt wird – als Vorbote für die Zeiten von 1933 bis 1945. Und gleich darauf erscheint eine mondän-diabolische Frau Tod (Thea Schnering) in der Männerherberge. Sie requiriert Herrn Hitler für künftige Völkermassaker. „Wir werden recht gut miteinander auskommen“, meint die Dame, was man ihr sofort abnimmt. Der Tiroler Nackedei Gretchen, die Schlomo liebt, wird von Clara Schoeller liebenswert und prall dargestellt, aus der Mitläuferin Hitlers, dann natürlich sittlich gekleidet, macht sie ebenfalls eine genaue Studie. Nur Musiker Arne Assmann steht in seiner Rolle als Tiroler Depp etwas daneben.

Den jungen Hitler gibt Tilmar Kuhn. Eben noch ein kläglicher Unglücksrabe, ein armer Schlucker ohne künstlerisches Talent, kann er plötzlich in brachiale Worttiraden ausbrechen. Böse klingt des „Führers“ Stimme, die Stimme des Monsters auf. Kuhn spielt das hypochondrische Muttersöhnchen genau so trefflich wie den bereits vom Machtrausch Besessenen. Der Weg Adolf Hitlers zum Massenmörder ist vorgezeichnet.

Tabori wollte in die Schwere des Stoffes etwas Leichtes mitgeben. Als Farce. Aber das berühmte Lachen blieb einem in der Inszenierung Andreas Huecks über weite Strecken „im Halse stecken.

Wieder am 22., 23. und 24. April, jeweils 20 Uhr, im T-Werk in der Schiffbauergasse

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