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Kultur: Lebensspuren

Ein Abend in der „arche“ für den Dichter Ullmann

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Wie vor gut 20 Jahren stehe die „arche“ auch heute dazu, denen Gehör zu verschaffen, die keine Stimme haben, verkündete Veranstalter Rainer Roczen am Ende eines Lese-Abends, der eigentlich anders ablaufen sollte. Die Schriftsteller Günter Ullmann und Udo Scheer waren am Dienstag eingeladen, von ihren „Lebensspuren“ in der DDR zu berichten, schließlich hatten sich beide mit der Macht im Staate angelegt, und die machte von ihrem Machtmonopol dann auch mächtig Gebrauch, solch kritische, fragende, mahnende Stimmen zu „zersetzen“, wie es im Stasi-Jargon hieß. Im Falle des 1946 in Greiz geborenen Ullmann schien das bis in die Gegenwart hineinzureichen. Denn Anfang Mai verstarb er überraschend „durch eine Verkettung unglücklicher Umstände“. Seit langem in psychiatrischer Behandlung, sollen Umstellungen bei der Medikation den Herztod heraufbeschworen haben. Letztlich Spätfolgen früherer Zeiten, meinte Udo Scheer, und machte den von Konrad Adenauers Stiftung gesponserten Abend zu einem Memorial für den verstorbenen Freund Ullmann, der noch im Januar selbst in der „arche“ über die späte „Strahlkraft“ der DDR referierte. Verklärung blieb da nicht ganz aus.

Bei allem Respekt für diese Biografie, für den wohlmeinenden Freundschaftsdienst, aus heutiger Sicht wirkt dieses mehr oder weniger selbstbestimmte Leben fast wie ein Schema-F im Dissidenten-Einmaleins. Glückliche Kindheit in Greiz, Abitur, aber kein Studienplatz, weil die SED ihn verwehrte. Diverse Berufe, Unterschrift gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann und Reiner Kunze, Anschluss an die oppositionellen Denk- und Seinskreise von Havemann, Fuchs und Pfarrer Brüsewitz. Schreibt viel, hat aber Veröffentlichungsverbot bei allen Verlagen, vertraut einem gewissen Ibrahim Böhme, seinem treuesten IM, mehr als der eigenen Frau. Immigration, Überwachung, Verhöre durch die Stasi. Das blieb nicht ohne Spuren. Ullmann ging sogar soweit, sich Zähne ziehen zu lassen, weil er Wanzen drin vermutete, oder spontan nach Ostberlin aufzubrechen, um den König Salomo zu suchen.

Neben einem schönen Porträt eigner Hand stellte Udo Scheer den privaten Mitschnitt einer Veranstaltung vor, wo Günter Ullmann Epigramme, Kurzprosa, Kinderlyrik, Gedichte mit thüringischer Zunge vortrug. Wie oft dabei das verräterische „Wir“ zu hören war! So lauschte man teils poetischen, teils trotzig-lakonischen Sentenzen, wie „Bücher, die man nicht druckt, braucht man nicht zu verbrennen“ oder „die Menschen sind die alten geblieben, wie die Fahnenhalter an ihren Fenstern“ aus dem Jahr 1990. Ullmann störte es, eine Zeitung zu kaufen, die man nicht las, jemandem die Stimme zu geben, für den man sonst nur Spott übrig hat. „Wer deine Krieger sieht, kann nicht mehr kämpfen“ notierte er über die bekannten Grafiken von Ernst Barlach.

„Im Herzen ein Clown“, wollte Günter Ullmann ja aus der Reihe tanzen, wollte allen Unsinn der idyllischen Kindheit noch einmal machen, für seine Söhne, für sich, für alle. Freilich war die DDR ganz ohne Humor, sobald es um Machtfragen ging. Jeder wusste das, auch die literarischen Kreise in Jena. Da konnte einer „konsequent ehrlich“ und „zutiefst humanistisch“ sein, einmal im Visier der Obersten jedoch, schaukelte sich das immer mehr hoch: Vom Verdacht zur Anklage bis zur „Zersetzung“. Aber taugt das heute noch als alleinige Botschaft über das Leben eines Menschen, wenn bald keiner mehr mit dem Wort „DDR-Dissident“ etwas anfangen kann? Gerold Paul

Gerold Paul

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