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Kultur: Lechzen nach Liebe

Robert Schneider liest aus „Die Offenbarung“

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Er ist schon ein komischer Kauz, dieser Jakob Kemper. Man sieht ihn vor sich: lang und schlaksig, nach vorn gebeugt mit wirrem Haar, schlabbrigem, zu kurzem Mantel und von Motten zerfressenem Schal. Ein Eigenbrötler, der sich in die Musik verkriecht. Doch auch die dankt es ihm nicht, obwohl er sich mit Haut und Haar dem genialsten aller Meister, dem großen Bach, verschrieben hat. Sein erstes Dirigat zielte auf die „Matthäus-Passion“ und ging tonal gründlich daneben. Und auch mit dem eigenen Komponieren wurde ihm kein Ruhm zuteil. Seine „Sinfonie der Arbeitermütter“ landete in der Versenkung. Wo also Trost finden, wenn es auch mit der Liebe nicht klappt? Sein einziger Kuss in der Jugendzeit brachte ihm eine gehörige Abfuhr. Und – kaum zu glauben – irgendwann wird ausgerechnet diese einst angebetete Schönheit seine Stiefmutter. Dem verhassten Vater, der ihn sein Leben lang klein machte und „Kloßkopp“ nannte, geht sie in die Fänge. Beide schenken ihm nun ein Brüderlein.

Das wiederum bringt einen kleinen Lichtstrahl in das Herz des verkannten Musicus und vielleicht die erhoffte Wende in seinem Leben. Denn als er dem ebenfalls musikalisch aufgeschlossenen Leo die Orgel in seiner Naumburger Kirche von St. Wenzel zeigt, findet der Junge im dunklen Balghaus des maroden Instruments eine alte Tasche mit unfassbarem Inhalt. Ein Autograph – vom alten Bach höchstpersönlich notiert. Dieser sensationelle Fund des unbekannten Werkes bringt die zwiegespaltene Forscherseele endgültig aus dem Häuschen: Angst und Größenwahn geben sich die Hand. Aber seit er die Partitur gefunden hat, fühlt sich die Welt anders an: „Sie schmeckte nicht mehr schal und sie hatte wieder Fragen an ihn. Es kam ihm so vor, als wäre er noch einmal auf die Welt gekommen.“

Robert Schneider versteht es, mit pointierter Leichtigkeit in seinem Roman hinein zu ziehen. Man schenkt diesem Klemper seine Zuneigung, um im nächsten Moment wieder vor seinen Höhenflügen zurückzuschrecken. Seine Naivität macht ihn irgendwie sympathisch und man leidet mit ihm, wenn er wieder ins Fettnäpfchen tritt. Und natürlich auch von der schönen rothaarigen Lucia, seiner zweiten großen Liebe, einen Korb kriegt.

Der Erfolgsautor von „Schlafes Bruder“ hat erneut einen kurzweilig-unterhaltsamen Roman vorgelegt. Und Schneider weiß, seine Figuren trefflich zu zeichnen. Geschickt wandert er mit Kemper immer wieder in die Kindheit zurück, erinnert an den Tod des Bruders, an die Gefühlskälte der Mutter. Der einsame Forscher lechzt nach Anerkennung und bleibt gerade dadurch isoliert. Und auch sein großer Fund, diese Himmelsmusik, macht ihn nicht richtig froh: Sie erinnert ihn an sein kleines, missglücktes Leben. In den Motiven der Oboe erkennt er sein Schluchzen aus Kinderzeit, in den Hörnern vernimmt er das schmetternde Organ des Vaters und in den Liebkosungen zwischen Violine und Sopran die ungestillte Sehnsucht, endlich um seiner selbst willen angenommen und geliebt zu sein. Heidi Jäger

Montag, 20 Uhr, ist Schneider Gast des Waschhauses. Er liest in der Schinkelhalle „Die Offenbarung“, Eintritt 7/erm. 5 €.

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