Kultur: Legenden leibhaftig erlebt: die Casapietras
Um einen edlen Tropfen genießen zu können, braucht''s vieler Voraussetzungen. Der richtigen Rebsorte, einer sonnenbeschienenen Hanglage, wuchsfördernder Erziehungsschnitte, sorgfältiger Kelterung.
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Um einen edlen Tropfen genießen zu können, braucht''s vieler Voraussetzungen. Der richtigen Rebsorte, einer sonnenbeschienenen Hanglage, wuchsfördernder Erziehungsschnitte, sorgfältiger Kelterung. Gut gelagert und sorgsam gepflegt, kann der Wein mit den Jahren immer besser werden. Wer weniger Wert auf langlebige Qualität legt, kommt mit einem kräftigen Landwein auch auf seine Kosten. Mit Gesangsstimmen ist es ähnlich. Auch sie verlangen nach Hege, dem Wissen seiner Besitzer darum, ob der „Weinberg“ für lange Jahre Reben tragen soll oder sich vielleicht doch besser zum Kartoffelacker eignet. Unwillkürlich drängte sich mir dieser Vergleich auf, als ich das Konzert „Leidenschaft auf Italienisch“ mit dem Schauspieler und Sänger Björn Casapietra (Tenor) sowie seiner Mutter Celestina Casapietra (Sopran) in der Erlöserkirche hörte. Das Publikum ist gekommen, um seine Legenden livehaftig zu erleben. Der Raum wird zuvor von schmuseklingender Kuschelware erfüllt, die aus Lautsprecherboxen tönt. Ahnungen ergreifen mich, hier könne eines jener tonverstärkten Konzerte ablaufen, bei der Sinuskurven und Dezibelbalken mehr im Vordergrund stünden als die umweglos zu genießende Stimmbandkunst. Die Ängste sind unbegründet. Einer Primadonna wie der Casapietra fiele es doch nicht im Traume ein, in solch einem Raum und Rahmen eine Liaison mit der Tontechnik einzugehen! Sohn Björn ist da etwas skrupelloser, stellt einige der Pop-Titel von seiner CD im Halbplaybackverfahren vor. Da kann er mit seiner Ausstrahlung, seinem jugendlichen Charme und Natürlichkeit punkten. Unbekümmert sagt er die Nummernfolge an, die kurzfristig von Hellwart Matthiesen, stellvertretendem Chordirektor an der Deutschen Oper Berlin, am wenig gutklingenden Klavier begleitet wird. In Titeln wie „Tesoro mio“ (einem neuzeitlichen Song im alten Stil), dem spanisch folklorierten „Aranjuez“ oder dem neapolitanischen Hymnus „Mamma“, überzeugt er restlos, denn da hat er – fern des Vorbilds von Mario del Monaco und dessen Art hochdruckartigen Singens – plötzlich Eigenes vorzuweisen. Da stimmt die Technik, wird die Stimme offener, kann sie lyrisch schmachten und schmelzen. Kurzum: In diesen Melodien ist er, der eigentlich ein hoher Bariton und kein Tenor ist, ganz bei sich. Nicht so beim Vortrag von Opernarien. Bereits der Auftakt mit „Amor ti vieta“ aus Umberto Giordanos „Fedora“ zeigt er eine kleine, in der Höhe sich verengende und gepresst klingende Stimme. Ohne Leuchtkraft und lyrischen Schmelz singt er Pinkertons Abschied von „Madame Butterfly“, des Herzogs frivoles „La donna e mobile“ aus Verdis „Rigoletto“. Im Liebesduett aus „Othello“ vereint sich Björn Casapietras plötzlich leicht eingedunkeltes Timbre mit dem lyrischen Glanz und der leuchtenden Strahlkraft des Soprans seiner Mutter. Auch in anderen Zwiegesängen wie dem „Traviata“-Trinklied ist sie es, unter deren Führung die „Leidenschaften auf Italienisch“ lodern. In ihren Arien nicht minder. Auf überzeugende Art und Weise führt Celestina Casapietra vor, dass sie die Kunst des Belcanto noch immer perfekt beherrscht – frei nach Toscas Bekenntnis: „Nur dem Singen weih'' ich mein Leben“. Es gelingt ihr immer noch kraftvoll und höhenstrahlend, fast ohne altersbedingte Abnutzungserscheinungen. Voller Gefühl und schmelzend singt sie Laurettas Bitte „O mio babbino caro“ aus Puccinis „Gianni Schicchi“. In anderen Arien spinnt sie die filigransten Phrasen. Die kleinste Sinnbedeutung erfährt durch sie eine hinreißende Intensität. Lyrisches singt sie mit geradezu jungmädchenhafter Innigkeit, dramatische Abschiedsvarianten mit Brio. Ich gebe unumwunden zu, über die Jahrzehnte hinweg von Celestina Casapietra noch immer begeistert zu sein! Das Publikum war''s auch, feierte sie und Sohn Björn, ertrotzte sich eine Zugabe. Peter Buske
Peter Buske
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