Kultur: Lehrreich und vergnüglich
Orgelkonzert mit Dietrich Schönherr in der Kapelle von Klein-Glienicke
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Choralbearbeitungen großer Barockmeister seien leicht zu verstehen? Dietrich Schönherr, Organist und Chorleiter am Evangelischen Gymnasium in Potsdam-Hermannswerder, hat da so seine Zweifel. Und entschloss sich, bei seinem Orgelkonzert in der Klein-Glienicker Kapelle, dem Publikum am Beispiel von Johann Sebastian Bachs Bearbeitung des Chorals „O Lamm Gottes unschuldig“ BWV 656 deren Geheimnisse zu enthüllen.
Er bemühte Claudio Monteverdi und dessen (Opern-)Forderung, die Musik solle Dienerin des Wortes, nicht Herrscherin sein. „Sie kriecht gleichsam in die Sprache hinein“, so Dietrich Schönherr, um anschließend die barocken Symbolgehalte des Wort-Tonverhältnisses des ausgewählten Chorals zu erläutern. Strophe für Strophe geht er die kompositorische Anlage durch, spielt das Christus-Motiv vor und beschreibt, wo es im Stimmengefüge notiert ist und welche Bedeutung es hat.
Wird es von den anderen Stimmen umrahmt, ist Christus „mitten in der Welt“. Steht es im Bass, dann symbolisiere es den Heiligen Geist. „Haben Sie“s gehört? Nein? Dann müssen Sie es glauben!“ Die meisten halten sich daran und suchen das Geheimnis der symbolträchtigen Noten zu entdecken. Auch den eines verwendeten Dreivierteltakts, der nichts anderes als ein Sinnbild der Trinität sei, so der Werkanalyst, nicht etwa ein zu früh erfundenes Walzern auf dem Tanzparkett. Bei der klingenden Beweisführung des Gesagten mag mancher daran denken.
Im Falle der Bachschen Choralbearbeitung „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ BWV 645 gibt es derlei Erläuterungen nicht. Hier erscheint der Cantus firmus in der Tenorstimme, und man weiß nach Schönherrs musikwissenschaftlichem Ausflug sofort, dass als rufende Stimme nur Christus gemeint sein kann. Sie lässt sich durch das Acht-Fuß-Oboenregister vertreten. Dazu treten akkordunterstützend der kräftige Subbass und ein näselnd-quäkendes Zungenregister. Scharftönig, im vollen Werk hell klingender Prinzipalstimmen, leuchtend und erhaben rauschen Präludium (mit gläsern registrierter Oberstimme) und (festlicher) Fuge e-Moll BWV 548 auf.
In diesem sehr kontrastbetont gespielten Doppelpack beweist sich des Organisten Wiedergabekunst von klar erkennbaren Strukturverläufen. Schade nur, dass er weitgehend ein durchgängiges Fortespiel im gleichmäßigen Metrum bevorzugt. Analytisch, klar und kernig breitet er auch drei Stücke von Dietrich Buxtehude aus, allen voran die d-Moll-Toccata, für dessen Fundament er das Pedalregister einer 8-Fuss-Trompete zieht. Mit dem Geklingel der beiden Zimbelsterne beginnt und endet die Fantasie „Nun lob, mein Seel““, dazwischen wetteifert das quäkende Fanfaro-Register mit Rohrflötenlieblichkeit.
In der e-Moll-Ciacona bewegt sich über gleichmäßig schreitendem Bass die Oberstimme in zügigem Metrum. Dagegen geht Max Regers Introduktion und Passacaglia f-Moll op. 63 an die Grenze dessen, was mit dieser Schuke-Orgel in diesem kleinen Kapellenraum darstellbar ist. Das Monumentale und Zerklüftete braust wie ohrenbetäubender Donnerhall, in der Pedaltiefe rauscht der Wind, ohne einen tragfähigen Klang zu erzeugen.
Dazwischen gibt es erholsame Abschnitte, ehe es erneut chromatisch geballte Aufgeregtheiten zu überstehen gilt. Als Balsam für die Ohren erweisen sich die vergnüglich anzuhörenden „Mozart-Changes“ von Zsolt Gardonuy (geb. 1946), bei dem sich das gassenhauerische Motiv eines Stücks für die Flötenwalze apart verwandelt und in swingenden Jazzgefilden wiederfindet.
Peter Buske
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