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Kultur: Lehrstücke aus Finnland

Joona Toivanen Trio und Jimi Tenor im Waschhaus

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Joona Toivanen Trio und Jimi Tenor im Waschhaus Über die Finnen meint man einiges zu wissen. Viele Bäume, viel Wasser, wenige, sehr sonderbare Menschen mit wiederum viel Alkohol. Eine Städtepartnerschaft, wie sie Potsdam mit Jyväskylä unterhält, ist da eine sehr lobenswerte Angelegenheit, bestehende Klischees abzubauen. Finnland ist nicht gleich zu setzen mit der Kaurismäki-Filmwelt, und es gibt auch andere Musik als die der Leningrad Cowboys. Mit dem Joona Toivanen Trio hatte am Freitag im Waschhaus sicher niemand gerechnet. Die Clubszene, Unterkategorie „Easy Listening“, war zusammen mit einigen Jazzfreunden hauptsächlich gekommen, um Jimi Tenor zu sehen. Doch bevor der finnische Exzentriker auf die Bühne kam, trafen sie auf ein sehr sehr junges Jazztrio, gebürtig in der Partnerstadt, das verblüffte und bezauberte. Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr spielen Loona Toivanen am Klavier, Tapani Toivanen am Kontrabaß und Olavi Louhivuori am Schlagzeug zusammen. Sie wollten immer nur Jazz spielen. Mittlerweile, nun Anfang zwanzig, touren sie durch Australien, geben Konzerte in Singapur und sind mit ihren CD-Einspielungen, zuletzt mit dem Album „Lumous“, in Japan erfolgreich. Das Markante ihrer sanften Eigenkompositionen, die im Waschhaus zum Deutschland Debüt zu hören waren, ist ihre Zartheit. Das Schlagzeug wird von Louhiviuori mit den Besen gestreichelt, so wie ein Wind durch die Föhrenspitzen fährt, und aus dem Rhythmusinstrument wird Melodie. Auch Bandleader Joona Toivanen liebkost die Tasten seines Klaviers; Harmonien, die den Lichtreflexen auf leichter Dünung gleichen, entsteigen. Sehr skandinavisch sei diese Art von Jazz, sagte die Begleiterin des Trios, Kirsi Lajunen, denn die Kompositionen bezögen sich auf die Natur, nicht auf Liebe und Hass, und ständen in der norwegischen Jazztradition eines Jan Garbareks. Betörend, klassisch-fein, unglaublich reif. Jimi Tenor war dazu ein Kontrast. Auch so kann finnisch sein: grell, bunt, schrill. Im samtroten, Gold besetzten Laikaienkostüm hat sich der Klangbastler vom „leicht uncoolen“ Lassi Lehto in Jimi Tenor umbenannt, nach seinem Lieblingsinstrument, dem Tenorsaxophon. Tenor ist Multiinstrumentalist, wie er da hinter seiner Klangbar aus Synthesizern und Soundmaschinen steht. Zuweilen greift er zur Querflöte oder Saxophon, und spielt mit rechts, während er mit links seine elektronischen Töne mischt. Eine schillernde Erscheinung, auch musikalisch, wie David Bowie, Prince oder Beck Hansen. Im Waschhaus folgte sein Anti-Jazz mit genialischen Querverweisen einer Spur aus schwarzem Blues und Soul. Seine sexuell recht expliziten Texte, die er mit orgasmischem Stöhnen, „yeah, baby“ Rufen und hellem Kieksen untermalte, drehten sich nur um „das Eine“. Tenor, der bleiche, schmächtige Hornbrillenträger, lieferte so eine Parodie eines Genres, und zugleich eine respektvolle Huldigung. „I want to make love to you“ oder sein alter Club-Hit „Take me, Baby“ klangen zuweilen nach dem erotomanischen Gesäusel eines Barry White, um dann gleich wieder durch schnurpsende Synthesizerbässe auf Distanz zu gehen. Tenor, an Flöte und Saxophon ein Virtuose, mit seinem Maschinenpark aus quetschenden Moog- und Korg-Synthesizern und diesem fantastischen Photofon, einem Soundinstrument das auf Licht reagiert, probiert die Posen des Black R’n’B, führt sie vor, zermalmt sie in synthetische Wellen und kommentiert sie in der Sprache des Tenorsaxophons. So etwas können wirklich nur die Finnen. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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