Kultur: Leichte Irritation
„Vocalise“-Woche eröffnet: Brahms-Requiem und Einschübe von Bach und Händel
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„Vocalise“-Woche eröffnet: Brahms-Requiem und Einschübe von Bach und Händel Von Klaus Büstrin Das dritte Musikfestival Potsdams, die „Vocalise“, das nun zum dritten Mal veranstaltet wird, hat am Sonnabend seinen Lauf genommen. Natürlich kann es mit der Programmvielfalt und der finanziellen Ausstattung der Musikfestspiele nicht konkurrieren, doch präsentiert es ein weit gefächertes Programm. Das weitere Musikfest, die Bach-Tage, bedenkt die Kommune bedauerlicherweise fast nicht mit Zuschüssen. Oberbürgermeister Jann Jakobs, der bei der Eröffnung in der Erlöserkirche das Wort ergriff, versprach, dass die Stadt Potsdam die Chormusik auch weiterhin fördern werde, denn sie gebe dem Kulturleben einen ganz eigenen und frischen Impuls. Sie ist eine unverwechselbare Facette auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas 2010, die Potsdam sehr gern sein möchte. Mit solchen frohstimmenden Worten könnte man getrost in die Vocalise-Woche gehen, wenn nicht auf den Sitzbänken der Erlöserkirche Schreiben des Fördervereins der Potsdamer Kantorei e.V. zu finden waren, in denen von Finanzierungslücken bei der kontinuierlichen und erfolgreichen Arbeit der Kirchenmusik an der Erlöserkirche die Rede ist. Der Verein bittet um Hilfe, denn Joffe, die Potsdamer Kantorei und alle anderen Ensembles an der Erlöserkirche gehören zu den tragenden Säulen des landeshauptstädtischen Kulturlebens. Dies wurde bei der Eröffnung wieder bewiesen. Ungewöhnlich, gewöhnungsbedürftig war das erste Vocalise-Konzert. Johannes Brahms“ „Ein deutsches Requiem“ aufzuführen, gehört traditionsgemäß zu den weit verbreiteten Konzertereignissen, meist um den Totensonntag. Doch Joffe gab sich nicht allein mit dem Brahms“schen Werk zufrieden. Er griff auf die Programmfolge der ersten Aufführung im Bremer Dom 1868 zurück, die der Komponist selbst leitete. Der Titel „Ein deutsches Requiem“ verrät, dass es sich hierbei nicht um eine lateinische Totenmesse handelt. Aber Brahms“ eigener Glaubensrichtung, dem Protestantismus, ist es zuzuordnen, als es Worte, die Christus und damit den Bezugspunkt der evangelischen Theologie aussparen. Darum musste in Bremen - die Dogmatiker verlangten es – die Arie „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ aus Händels „Messias“ eingeschoben werden. An ihre Stelle rückte bei der endgültigen (siebenteiligen) Fassung 1869 in Leipzig das nachkomponierte Sopransolo „Ihr habt nun Traurigkeit“. Joffe ließ es auch dort singen (von Netta Or mit unruhigen und zu opernhafter Stimme zu Gehör gebracht), wo es hingehört. Doch auf die Messias-Arie wollte er nicht verzichten. Es erklang nun nach Brahms“ens Schlusssatz „Selig sind die Toten“ als Nachschlag, baute „Er weidet seine Herde“ für Solosopran (hierbei entwickelte Netta Or eine schöne Farbigkeit in ihrer Stimme) sowie den Halleluja-Chor, beides ebenfalls aus dem „Messias“ (die Kantorei bevorzugte einen zurückhaltenen Gestus) ein, wie ein Potpourri wirkend. Bachs Andante aus dem Violinkonzert a-Moll BWV 1041 von Bach und Schumanns Abendlied „Es ist so still, geworden“ – eine Hommage an den Freund – (beides von Klaudyna Schulze-Broniewska auf der Violine mit feinem Ton gespielt) waren weitere Einschübe, die ebenfalls trotz des Vocalise-Themas „Kontraste“ wie Fremdkörper in einem Werk wirken, das wie ein Solitär ist. Es bedarf keinerlei Ergänzungen. Natürlich hat die Musik von Bach und Händel Spuren auf vielfältigste Weise in der Komposition des Deutschen Requiems hinterlassen, doch es sträubt gegen sich das Aufdrücken von Sinndeutungen. Brahms kann sich selbst Raum verschaffen. Ud Joffe hat die Kantorei wieder bestens für die Aufführung vorbereitet. Die Klanghomogenität wäre noch besser gewesen, wenn der Sopran nicht hin und wieder mit einigen Schärfen aufgewartet hätte. Der Klangkörper folgte den Intensionen seines Dirigenten genau. Der wählte insgesamt ruhige Tempi. Solche wünschte sich auch Brahms „weil sich die Musik entfalten soll“. Ausdrucksstark, alle Überladenheit vermeidend, hörte man eine Aufführung, die große Momente bereit hielt, beispielsweise beim düsteren Trauermarsch „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“, der wie ein Totentanz, dessen Figuren immer wiederkehren, dahin schreitet. Strahlend wendet sich die Trauerstimmung dann zur Freude der bildhaft gesungenen Ewigkeit. Bewegend und zart sang der Chor den lyrischen Satz „Wie lieblich sind deine Wohnungen“. Die Baritonsoli mit ihren Betrachtungen und Verheißungen wurden von Raimund Nolte interpretiert, wie stets kultiviert. Doch wirkte seine Stimme von seinem eventuell ungünstigen Platz – hinter dem Orchester – nicht raumgreifend genug. Erstmals musizierte das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt mit der Kantorei. Es schien ein gutes Einvernehmen zwischen Joffe und dem Orchester gewesen zu sein, denn es spielte mit schlankem Ton und durchsichtiger Artikulation. Es ist ein guter Partner für die Kirchenmusik. Die Zuhörer - manche von ihnen waren wegen der Zusammenstellung leicht irritiert – spendeten nach Händels-Chor freundlichen Applaus.
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