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Kultur: Leinen los in unbekannte Gewässer

Keimzeit crossover mit dem Filmorchester

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Obwohl mit Havelwasser „getauft“, sind sie doch mit allen Wassern gewaschen. Sie kreuzen mit ihren Liedern auf den Meeren der Welt: schippern vom Eismeer in die Karibik. Am Samstagabend trifft die „Keimzeit“-Familien-Jolle im Nikolaisaal „crossover“ auf den Riesen-Ozean-Dampfer Deutsches Filmorchester Babelsberg. Hat man anfangs noch Angst, dass der kleine Kahn baden gehen und von der überbordenden Kraft des volltönenden Giganten überspült werden könnte, kommt die Zweier-Flotte dann doch in Balance. Die Kapitäne Norbert Leisegang und Bernd Wefelmeyer verstehen ihre Koordinaten zu bemessen und aufeinander abzustimmen. Und sie können sich auf die erprobte Seetauglichkeit ihrer eingeschworenen Mannschaften verlassen.

Das maritime Programm „Land in Sicht“ gleitet über weite Strecken im ruhigen Fahrwasser, so wie von den Keimzeit-Leisegängern nicht anders erwartet. Gerade in den lauten Zeiten verzichten sie auf kraftmeierisches Getöse und finden mit ihren wohltemperierten Balladen offene Ohren einer großen Fangemeinde, die den Nikolaisaal quer durch die Generationen bis auf den letzten Platz belegt.

Sind die Melodien auch wie eine warme Decke, spüren die Texte durchaus Frösteln lassend die Unwägsamkeiten des Lebens auf. Norbert Leisegang lauscht aufmerksam den Winden mit ihren beunruhigenden Fragen nach dem Woher und Wohin. Da ist kein sicheres Vor-Anker-Gehen möglich. Allerdings ist es bei dieser „Ausfahrt“ mitunter schwierig, den Worten zu folgen, vieles verhallt unverstanden, wird von der Akustik „verschluckt“. Doch die richtigen Fans kennen ohnehin jeden Vers aus dem Effeff und schunkeln und singen nicht nur „Maggie“ oder bei „Kling Klang“ mit, den sich Keimzeit bis zum Einlaufen in den nächtlichen Hafen aufhebt.

Beim „Auslaufen“, dem Warm up, für das bei einem Rockkonzert ja immer die Vorband zuständig ist, setzt sich das Filmorchester an die Spitze. Mit einem „Classic Joke“ bringt Bernd Wefelmeyer den Kahn der fröhlichen Leute schon mal tüchtig in Schwung. Vor allem aber mit den Vivaldi-Adaptionen für 2 Solo-Violinen und Orchester aus dem Film „Unternehmen Geigenkasten“ bringen das Filmorchester und die Solisten Torsten Scholz und Christian Dufner ordentlich Dampf unterm Kessel und durchfurchen das auf Dauer etwas seichte Meer der Töne auch mal mit zupackendem Drive.

„Keimzeit“ hat zudem drei Freunde an Bord, die unbedingt ins Logbuch eingetragen gehören: Sebastian Piskorz an der Trompete, Ralf Zickerick an der Posaune und vor allem Ralf Benschu am Saxophon. Immer wieder segeln die Drei für kurze Strecken allein davon und reißen das Publikum mit sich fort. Auch das Keimzeit-Brüder-Trio sowie Rudi Feuerbach und Andreas Sperling wissen die „Bunten Scherben“ ebenso zum Schillern zu bringen wie das „Gold für einen Ring“.

Vor allem aber das „Flugzeug ohne Räder“ geht unter die Haut und lässt die drohenden Eisberge unter dem täuschend harmlosen Meeresspiegel ahnen.

„Wir legen ab und fahren nach Singapur, auch wenn der Wind das Segel zerreißt. Wir müssen weiter, immer weiter, was soll’s“, singt am Ende Norbert Leisegang mit einem Hauch von Melancholie in der wohl dritten Zugabe. Dann gehen alle in ihre Kajüten und lassen sich trotz nicht enden wollenden Beifalls nicht mehr an Deck sehen. Heidi Jäger

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