
© Manfred Thomas
Kultur: Lichtstrahlen im Dunkel
Zwei Konzerte zur Osterzeit: Mozart-Requiem am Karsamstag und Osteroratorium am Ostermontag
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Der Karsamstag, der Tag zwischen Jesu Tod am Kreuz und seiner Auferstehung, will nach christlichem Verständnis still begangen werden. An ihm beginnen in den Abendstunden bereits die Osterfeierlichkeiten. Da ist es legitim, am Karsamstag ein Requiem aufzuführen mit der Klage über den Tod, der Bitte um den Frieden sowie der hoffnungsvollen Erwartung. Die Kammerakademie Potsdam wählte für das diesjährige Karsamstag-Konzert im Nikolaisaal die Requiem-Vertonung Wolfgang Amadeus Mozarts. Der dicht gefüllte Konzertsaal machte deutlich, dass immer mehr Menschen mit Nachdenklichkeit ins Osterfest gehen wollen.
Als Dirigenten für das reine Mozart-Konzert verpflichtete das Orchester der Landeshauptstadt den Geiger Bernhard Forck, der als Primarius der Akademie für Alte Musik Berlin einen guten Namen hat, doch auch immer stärker als Dirigent auftritt. Mozarts Requiem d-Moll KV 626 ist ein Werk von zeitloser Gültigkeit, das einen breiten Gestaltungsspielraum ermöglicht. Forck machte reichlich Gebrauch davon, stellte seine Interpretation, bei der sich neben die Kammerakademie auch das Vocalconsort Berlin gesellte, in den Dienst der Spiritualität und setzte es somit textbezogen um. Er näherte sich Mozart mit großer Demut, ließ dessen ruhig fließende Teile im sanften Licht der Trauer aufleuchten. Aber da war auch sein Mut, das Aufbegehren gegen das Schicksal, wenn es um das Unabänderliche geht, die schrecklichen Verheißungen der Apokalypse deutlich zu machen. Und Forck wusste mit höchstem Einsatz scharf zu akzentuieren, die Reserven vor allem der 21 exzellent singenden Choristen zu mobilisieren, obwohl sie hin und wieder gegen die immense Lautstärke des Orchesters mit Durchsetzungskraft ankämpfen mussten. Trotzdem, kein Nikolaisaal-Besucher blieb wohl von Musik und Aufführung unberührt. Schon Introitus und Kyrie jagten dem Hörer kalte Schauer über den Rücken. Die Verzweiflung des Menschen, der am Leben hängt, ist ansteckend. Innig, wie einen Lichtstrahl im Dunkel, ließ der Solosopran den Psalmvers „Te decet hymnus“ aufleuchten. Doch im Sturm des „Dies irae“, dramatisch von Chor und Orchester geboten, bestimmte die Furcht vor dem Jüngsten Gericht das Geschehen.
Ob beim verängstigten „Rex“, beim düsteren „Confutatis“, beim schwermütigen „Lacrimosa“, immer stand das Expressive der Musik im Vordergrund. Voller Leben und Zuversicht sprühten die Fugen „Quam olim Abrahae“. Als einziger Satz in Dur kontrastierte das „Sanctus“ die dunkle Grundstimmung. Das „Benedictus“ empfanden die Solisten herzlich lyrisch. Bei der „Communio“ als Schlussgesang schloss sich der Kreis. Die anfängliche Gnadenlosigkeit des bevorstehenden Todes gewann wieder die Oberhand.
Kammerakademie und Vocalconsort ließen sich von Bernhard Forcks Dirigat inspirieren. Jedes Detail ordnete sich zielgerichtet seinem Gestaltungswillen unter und geriet dadurch für den Zuhörer zu einem eindringlichen Klangerlebnis. Das Solistenquartett mit Cécile Kempenaers, Karola Hausburg, Jörg Genslein und Kai-Uwe Fahnert trat aus den Reihen des Vocalconsorts heraus und bot eine kultiviert ausgeglichene Leistung. Doch der helltönig klare Sopran von Cécile Kempenaers und der souverän singende Bassist Kai-Uwe Fahnert konnten besonders überzeugen.
Als „Vorbote“ für das traurig-tröstliche Requiem wählte Bernhard Forck Mozarts unbändige Sturm-und-Drang-Sinfonie in g-Moll KV 183. Dramatisch zugespitzt erklangen die Charaktere: das dynamisch Drängende des Anfangs gegenüber dem Schwebenden der Oboenpassage, dazwischen heftige Geigenakzente. Forck wusste den Orchesterklang gekonnt zu staffeln, brachte mitunter einzelne Farben geschärft in den Klangvordergrund. Vielleicht wurde manches zu eckig musiziert, vieles zu sehr ins Äußerste getrieben. Denn beispielsweise der zweite Satz hätte innerhalb aller Dramatik stärker als Ruheposten fungieren sollen, mit weniger Druck. Klaus Büstrin
Eine ansehnliche Zuhörerschar füllte die Friedenskirche Potsdam-Sanssouci bei der Aufführung des Osteroratoriums von Carl Heinrich Graun am Ostermontag. Das spricht für anhaltendes oder auch neu erwachtes Interesse am bedeutendsten Kapellmeister von Friedrich II. Auch gab es eine Potsdamer Premiere zu würdigen. Unter der Leitung von Nikolaikantor Björn O. Wiede erklang das erst vor wenigen Jahren wiederaufgefundene Werk erstmalig in der ehemaligen Residenzstadt. Lob und Preis gehen schon an dieser Stelle an die Solisten Heidi Maria Taubert, Max Kiener und Sebastian Bluth, den Nikolaichor und die Neue Potsdamer Hofkapelle, die das lang verschollene Werk glanzvoll zu Gehör brachten.
„Einen solchen Sänger werden wir nicht wieder hören“, soll Friedrich II. bei der Nachricht des Todes von Carl Friedrich Graun ausgerufen haben. Jahraus, jahrein komponierte der preußische Hofkapellmeister zwei Opern pro Jahr für das Königliche Hoftheater, 27 Stück insgesamt. Allesamt richteten sie sich nach den Wünschen des Königs, der die italienische Oper und ganz besonders deren langatmige, hochvirtuose Da-Capo-Arien schätzte. Als Komponist von geistlichen Werken war Graun während seiner fast 20 Dienstjahre in Preußen weniger gefragt. Nur zwei Werke entstanden in diesem Genre, die Passionskantate „Der Tod Jesu“ und, aus Anlass einer militärischen Siegesfeier, ein Te Deum.
Das Osteroratorium und ein ebenso unbekanntes Weihnachtsoratorium stammen dagegen wohl noch aus Grauns Zeit als Braunschweigischer Kapellmeister. Mit seinen vier Kantaten und insgesamt 26 Nummern ist das österliche Opus weit länger als vergleichbare Werke von J. S. Bach und G. Fr. Telemann. Auf größere Dimensionen verweist auch die reichhaltige Besetzung mit Streichern, drei Trompeten, Oboen, Fagotten, wenn auch das Orchester in der Friedenskirche nur mit einer relativ kleinen Besetzung aufwartete. Zumal die Orchestertutti mit Pauken, Trompeten und Oboen auch in den großen Chorsätzen kräftig mitwirken und für festlichen Schall sorgen.
Farbig instrumentiert erklingt die Begleitung in den zahlreichen Solo-Arien allemal. Da schlängelt das Fagott in sonoren Läufen durch die Tenorarie „Zerstreute Schafe“, konzertieren die Oboen in der Arie „Sagt’s den Jüngern“, schmettern die Clarinos in der munteren Jubel-Arie des Basses „Seele, freue dich mit Zittern“, erglüht die Solovioline (Wolfgang Hasleder) zu den prächtigen Figurationen der Sopranarie „Mein Herz singt Dir“.
So ist für Abwechslung gesorgt bei den italienisch geprägten, durchweg im Allegro stehenden Da-Capo-Arien mit ihren ausladenden Koloraturen auf einzelnen Silben. Vergleichsweise modern mutet da das einzige Duett an, zugleich das einzige Adagio des gesamten Werks. Es verbindet den leuchtenden, weich gerundeten Sopran von Heidi Maria Taubert mit dem geschmeidigen, warm timbrierten Tenor von Max Kiener zu innigem Zwiegesang. Anklänge an J. S. Bachs Oratorien, speziell an das Weihnachtsoratorium, fallen nicht nur bei einigen Arien auf.
Unter den Chorälen nach biblischen Versen stellen besonders zwei im fugierten stile antico die trefflichen Stimmen des Nikolaichors unter Beweis. Der schlicht einfältige Text des nicht genannten Librettisten bietet indessen keine poetischen Höhepunkte. Auf den historischen Instrumenten setzen die Musiker durchwegs passende, stilreine Akzente. Unter der straff-konzentrierten Leitung von Björn O. Wiede gelingt eine klangvolle Aufführung. Mit einem Texthänger zaubert der tadellos singende Salzburger Tenor Max Kiener noch kurz vor Schluss ein Lächeln bei den Zuhörern hervor. So kam, wenn auch unbeabsichtigt, der alte Brauch des Osterlachens wieder zu seinem Recht, noch dazu unter einem protestantischen Dach. Etwas seltsam wirkte nur die Da-Capo-Wiederholung des ersten Chors. Wenn auch in unserer Zeit noch differenziert würde zwischen Kirche und Konzertsaal und den einstmals so unterschiedlichen Attributen beider Musikstätten, wäre das womöglich ein gutes Zeichen. Babette Kaiserkern
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