Von Lena Schneider: Liebe und Distanz
Intendant Tobias Wellemeyer macht vieles richtig – und hat es dennoch schwer in Potsdam. Warum?
Stand:
Lasst uns die Wahrheit aushalten. Mit diesen Worten, halb Einladung, halb Versprechen und ein bisschen auch spielerische Drohung, begann Tobias Wellemeyer im September vergangenen Jahres seine Intendanz im Hans Otto Theater am Tiefen See. Eine erfreulich erdige Ansage war das, mit einem noch erfreulicheren Maß an Idealismus. Wer der Parameter seines Vorgängers Uwe-Eric Laufenberg – Stars und Sternchen vom Berliner Ku’damm und aus Zeiten des Defa-Films – etwas müde geworden war, freute sich über diesen Satz. Er kündete von Wechsel und Ehrlichkeit, von Mut zur Konfrontation und der Utopie eines Wir, in dem sich Publikum und Theatermacher finden sollen.
Heute, 13 Monate später, gehört zur Wahrheit, die Wellemeyer aushalten will und muss, auch dass das Theater seit Beginn seiner Intendanz einen Zuschauerrückgang zu verbuchen hat. Der ist nicht drastisch, aber doch bemerkbar. Anfang November wurden die Zahlen dazu bekannt: In der letzten Spielzeit gingen rund 15 000 Menschen weniger ins Theater als in der Spielzeit zuvor, die die letzte unter Laufenberg war. Auch die Quote der Eigeneinnahmen ist um knappe zwei Prozent gesunken. Keine Zahlen, die Anlass zum Verzagen gäben – und doch scheinen sie ein verbreitetes Gefühl zu bestätigen, dass Tobias Wellemeyer den Zugang zu Potsdam und den Potsdamern noch nicht ganz gefunden hat. Sogar in den Internetforen dieser Zeitung raffen sich Leser unterm Deckmantel der Anonymität anlässlich dieser Zahlen plötzlich zu unerwartet harschen Beiträgen auf, die unerwidert bleiben. Warum nur? Fehlt es an Gegenstimmen, die dem Theater zur Seite springen könnten? Zeit, den Blick weg vom Jammern und Besucher-Zählen zurück auf die Bühne zu lenken: Ist, was da passiert, tatsächlich so „unentschieden“, „profillos“ wie sein Ruf es teilweise glauben machen will?
In einer Diskussion Anfang dieses Jahres, erste Reibungen mit dem Publikum kündigten sich bereits an, wurde ein Dilemma Wellemeyers offenbar. Es ist das Dilemma eines jeden Stadttheatermachers. Er wünsche sich ein buntes Publikum, sagte er damals, und beklagte das Ausbleiben der 17- bis 25-Jährigen. Gleichzeitig wolle er aber das ältere Publikum, das Stammpublikum (und Gros der Abonnenten) nicht verprellen. Wellemeyer formulierte damit eine grundsätzliche Frage, eine an der sich Intendanten im ganzen Land die Zähne ausbeißen: Wie das eine mit dem andern verbinden? Die Antwort, die Wellemeyer findet, ist ein branchenübliches Gemisch aus jugendkompatiblen Themen bzw. Ansätzen („Macbeth“, „Aeneis“, „Weiß wie das Licht“) und bürgerlichem Bildungskanon („Die Wildente“, „Clavigo“, „Das weite Land“) und mundgerechter Unterhaltung („Die Kameliendame“, „Der Revisor“). Klar ist das „unentschieden“ – das Wunschpublikum, bestehend aus Studenten, Bildungsbürgern, Jugendlichen und „theaterfernen Schichten“, ist es ja auch. So paradox es klingen mag, im Grunde zeichnet sich das Profil eines Stadttheaters immer durch einen gewissen Mangel an Profil aus. In größeren Städten wie dem Nachbar Berlin verteilen sich die Geschmäcker auf viele Theater, da kann man sich aussuchen, wohin man gehen will. Hier hingegen soll ein Theater allein, neben den freien Bühnen wie T-Werk oder „fabrik“, alle bedienen.
Das ist auch in Magdeburg, Dessau oder Dresden eine schwierige Sache, in Potsdam kommt erschwerend dazu, dass Berlin gleich um die Ecke ist: Wem es hier nicht gefällt, der nimmt eben die S-Bahn. Laufenberg hatte versucht, gegen diese Tendenz anzugehen, indem er große Rollen gern mit Künstlern besetzte, die von außerhalb kamen und eine gewisse „Zugkraft“ versprachen – Angelika Domröse, Winfried Glatzeder, Katharina Thalbach, Dagmar Manzel, Katja Riemann. Das sorgte für mediale Aufmerksamkeit, war aber dem Ensemble-Gedanken nicht gerade eben förderlich. Tobias Wellemeyer hingegen versucht nun, ein Theater zu etablieren, das auf sein eigenes Ensemble und nicht auf die Strahlkraft einzelner Namen vertraut. In „Das weite Land“, „Lola“ oder auch „Der Revisor“ ahnt man, was aus diesem Ensemble mal werden kann, wenn es sich zusammengespielt hat. Das braucht, wie auch andere Dinge, nicht nur am Theater, Zeit. Für ein Publikum, das ungeduldig auf jede weitere Premiere wartet – und was könnte es für ein Theater Bessres geben –, mag ein gutes Jahr viel Zeit sein. Für ein Ensemble, das sich erst finden und gemeinsam erfinden muss, ist es das nicht. Einige seiner stärksten Ensemble-Produktionen („Der Fall Janke“ und „Der Kirschgarten“) hat auch Uwe Eric Laufenberg ganz zum Ende seiner Intendanz hingelegt. Sicher kein Zufall.
Das Zusammenwachsen eines Ensembles kann man nicht erzwingen, aber man kann es fördern, was Wellemeyer durch groß besetzte Stücke tut. Und man kann das Ensemble herausfordern. Auch das macht Wellemeyer, indem er eine Vielzahl von Regiehandschriften ans Haus holt, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Wobei wir bei der schönen, freilich auch sperrigen Seite des Unentschieden wären: Poetisches wie Isabel Osthues‘ „Glasmenagerie“ hat hier ebenso Platz wie zeitgenössisch-Verschlanktes (Annette Pullens „Clavigo“), wie gelungene und weniger gelungene Versuche der Stückentkernung (Lukas Langhoffs „Macbeth“ und seine „Kontrakte des Kaufmanns“). Dass das beizeiten eine Herausforderung nicht nur ans Ensemble, sondern auch ans Publikum ist, ist klar. Dass das nicht alles allen gefallen kann oder soll, auch.
Das berührt ein zweites Dilemma eines jeden Stadttheaterintendanten: Sicher spielt er für seine Zuschauer – Theater existiert ja überhaupt nur durch sie – aber wenn ein Theater Ehrgeiz hat, spielt es immer auch ein bisschen gegen sie. Gegen ihre Erwartungen, Vorurteile, Gewissheiten. Als der inzwischen sehr erfolgreiche Wilfried Schulz letztes Jahr seine Intendanz in Wellemeyers Heimatstadt Dresden antrat, sagte er auf die Frage, wie er die Stadt angehe: „mit Liebe und Distanz“. Er sagte auch, warum: „Bevor ich selber als Ich im Leben stehe, muss ich erst einmal die Erfahrung von Differenz machen.“ Das klingt kompliziert, heißt aber eigentlich nur: Um zu wissen wer ich bin, muss ich andere kennen. Wer ein Theater mit so einem Anspruch schulmeisterlich findet, sollte sich anschauen, was passiert, wenn Theater diese Reibungen vernachlässigt: Zwar stimmen dann die Zahlen, aber auf der Bühne gähnt Langweile. Nichts ist öder, als mit sich selbst im Reinen zu sein!
Das, und nicht die inszenatorischen Fehlschläge oder ein „zu großer Ernst“ der ersten Premieren, ist das wohl Problematischste am Auftakt Wellemeyers: Die Reibungen, die er bislang provoziert hat, lagen vor allem auf ästhetischer Ebene. Um das Publikum für sich einzunehmen, wird man die inhaltlichen Bezugspunkte zu Potsdam intensiver behandeln müssen. Dabei ist es nicht so, dass Wellemeyer und seinem Team eine Idee für die Stadt fehlte. Vielmehr zeugen die bisherigen Premieren von jener „Unentschiedenheit“, die dem Stadttheater eigen ist – und letztlich auch als Suche nach dem Publikum zu verstehen ist. Aber nach stilistischen „Wahrheiten“ wäre nun das Inhaltliche dran. Eine mögliche Stoßrichtung hat Wellemeyer schon im Vorwort des Spielzeitheftes 2009/10 deutlich gemacht. Dort schrieb Wellemeyer, welche Reibung ihn an Potsdam reizt: „das schöne Doppelantlitz der Stadt“ nämlich – die Vergangenheit zwischen Kaserne und Schlosspark. Das mag gut beobachtet sein, leider war auf der Bühne von solcherart Doppelantlitz, von der Reibung an der eigenen Vergangenheit, bislang noch nicht viel zu sehen.
Aber: Clemens Bechtels‘ „Vom Widerstehen“ bewegte sich in diese Richtung, auch Bruno Cathomas‘ „Lola“. Und: Es kommt „Der Turm“, es kommt Bechtels „Potsdam - Kundus“, und es kommen weitere Spielzeiten. Inzwischen heißt es für das Publikum: bloß nicht die Geduld verlieren. Und für das Theater: sich der Stadt erinnern. „Lola“ machte da einen guten Anfang. Es beginnt mit der Frage: „Was sehen Sie wenn Sie morgens zur Arbeit gehen? Aufbruch oder Gefahr?“ Dies ist genau die Art von Frage, die das Theater vermehrt stellen sollte. Mit dem geschärften Blick auf die eigene Stadt wird dann auch das Profil des Theaters schärfer werden. Ohne einaufmerksames, kritisches Publikum geht das nicht. Bei der „Lola“-Premiere hatte damals übrigens jemand aus dem Publikum gerufen: „Aufbruch!“.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: