Kultur: „Lieber die Hände gefesselt als der Wille“
Kompromisslos in den Tod: Arche-Vortrag über Franz Jägerstätter, der in Brandenburg hingerichtet wurde
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Es ist ganz erstaunlich, wie nachhaltig das Schicksal eines Einzelnen auf seine Um- und Nachwelt wirken kann. Am Dienstag referierte der Stahnsdorfer Diakon Thomas Marin in der „arche“ über den Lebensweg des oberösterreichischen Katholiken und Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter, der 1907 in St. Radegund nahe Braunau geboren und im August 1943 wegen „besonders schwerer Wehrkraftzersetzung“ zu Berlin verurteilt und kurz darauf in Brandenburg hingerichtet wurde. Nachdem sein Todesurteil 1997 „aufgehoben“ war, beeilte sich der Vatikan, diesen „Martyrer des Gewissens“ seligzusprechen, was zehn Jahre später geschah.
Ein langer Weg für Staat und Kirche, fand der Referent im gutbesetzten Vortragsraum. Bis dahin galt er ja allgemein als „Verräter und Deserteur“, seine Witwe erhielt deshalb bis 1950 keine Kriegsopferrente, sie musste sich mit ihren Töchtern so durchschlagen. Gewissensfragen sind zwar immer Einzelentscheidungen, die Folgen aber tragen stets andere.
Um diese „anderen“ ging es bei Marins langem Vortrag sehr: St. Radegund lebte nach dem Prinzip „Solidarität und Hilfe nach innen – Distanz nach außen“ sein eigenes katholisches Leben. Zuerst war man strikt gegen Hitler, in dessen Heimatgau man sich befand, dann lief man ordentlich mit. Wer ausscheren wollte, wurde mit „das machen alle so, du auch!“ zur Ordnung gerufen. Franz Huber, durch Adoption ein Jägerstätter mit Erbhof geworden, war nicht „so“. Spätestens seit seiner Hochzeit mit Franziska Schwaninger ging er eigene Wege. Das Dorf verübelte es dem frischverheirateten Paar, keine der üblichen Dorfpartys zu veranstalten und ausgerechnet am Gründonnerstag zum Honigmond nach Italien zu fahren, am Tag, als seine Cousine begraben wurde! Später sagte das Dorf: Wir haben den Buckel hingehalten, er aber wollte etwas Besseres, er wollte „heiliger“ sein. Das Paar galt als sehr fromm, doch munkelte man auch von Kontakten zu den Zeugen Jehovas. In einfachen Verhältnissen aufgewachsen, war Jägerstätter gewiss kein „Heiliger“. Er galt als lebenslustig, trinkfest, bekannte sich auch zu einem Seitensprung. Zweimal einberufen und wegen seines Hofes zurückgestellt, leistete er Grundausbildung und Führereid. Kein Pazifist also, sagte Marin, doch zunehmend ein Gegner der Nazis, weil sie mit seiner Kirche auch den Christus bekämpften. Ein Problemfall auch für alle Katholiken, die ihre Söhne in diesen Krieg schickten – und für den Linzer Bischof, welcher sie damals segnete. Ein Einzelner brachte alle in Bedrängnis! Noch 1943 trat er den Franziskanern bei. Seine Richter boten ihm zuletzt an, wenigstens als Sanitätssoldat zu dienen. Eine Falle ahnend, lehnte er ab. Nicht einmal seine geliebte Gattin, der man noch lange vorhielt, den Franz so „verbogen“ zu haben, konnte den Kompromisslosen noch umstimmen. Einig mit sich und mit Gott, wählte er nach dem Leitspruch „lieber die Hände gefesselt als der Wille“ den Tod. Dass man es eben nicht immer „so“ machen muss „wie die anderen“, war die Botschaft des Abends, ein Ruf nach Zivilcourage, die immer weh tut. Sollte eine solche Tat aber nicht auch das schwere Weiterleben der Seinen zu verantworten haben? Der Redner sagte es ja: Franz Jägerstätter beging „eine singuläre Tat, beispielhaft, aber nicht von jedem nachzuahmen“. Gerold Paul
Gerold Paul
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