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Kultur: Lieber nicht unter der Bettdecke

Der Historiker Felix Moeller hat sich mit verbotenen Propaganda-Filmen der Nazis beschäftigt

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Der Satz klingt in deutschen Ohren einfach falsch. Falsch und verboten: „Hallo, eine Karte für Jud Süß, bitte!“ Deshalb vielleicht bleiben die Propagandafilme der Nationalsozialisten in Deutschland bis heute unter Verschluss. Der Regisseur und promovierte Historiker Felix Moeller aber geht in seinem Dokumentarfilm „Verbotene Filme“ dem Mythos des Nazi-Kinos nach. Am vergangenen Mittwoch zeigte das Filmmuseum in Anwesenheit des Regisseurs dieses Portrait über das – nach Joseph Goebbels – „wichtigste Propagandamittel“ des Naziregimes. Übrigens in Kooperation mit dem Masterstudiengang Filmkulturerbe der Filmuniversität Konrad Wolf.

Zwischen 1933 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland etwa 1200 Spielfilme gedreht, davon wurden 300 von den Alliierten verboten. 40 von ihnen sind bis heute als „Vorbehaltsfilme“ eingestuft und nur unter Auflagen aus den Filmarchiven erhältlich. Die Friedrich-Murnau-Stiftung besitzt das Urheberrecht und bestimmt darüber, welche Filme freigegeben werden – agiert dabei jedoch stark restriktiv. Dennoch kursieren im Internet Filme wie „Jud Süß“, „Der ewige Jude“ oder „Kolberg“ und dienen dabei vornehmlich als Ideologietrichter in Neonazi-Kreisen. Ehemalige aus der rechten Szene, die Moeller für seinen Film befragt hat, erklären, wie die Filme auf „Schulungen“ und zur „Aufklärung“ eingesetzt werden.

Die große Frage, die hinter Moellers Film steckt, ist diese: Sollten die Filme freigegeben werden, um sich diesem Kapitel deutscher (Film-)geschichte zu stellen? Oder birgt diese Art der Propaganda heutzutage immer noch eine Gefahr, die Köpfe der Zuschauer zu verderben? Die befragten Filmwissenschaftler- und schaffenden, Historiker und Kinozuschauer in Deutschland, Frankreich und Israel sind sich sehr uneinig. Konsens besteht darüber, dass die verbotenen Filme – vor allem auf der großen Leinwand – nicht an Wirkungskraft verloren haben. Denn neben dem offenen Antisemitismus schürten die Nazis auch Ressentiments gegen andere Nationen, desensibilisierten die Bevölkerung für das Thema Euthanasie und pochten auf den Volksgedanken. Dazu bedienten sie sich „alter Erfolgsmuster, die ideologisch aufgeladen wurden“, wie der Medienwissenschaftler Rainer Rother sagt. „Ich habe Bauchschmerzen, weil der Film so gut ist“, sagt ein Kinozuschauer, der sich den Film „Heimkehr“ in einer Sondervorführung im Münchener Filmmuseum angesehen hat. Er sieht besorgt aus. Der Film rechtfertigt den Überfall auf Polen als Akt der Verteidigung und zeigt, wie die deutsche Minderheit von der polnischen Bevölkerung drangsaliert und an der Heimkehr ins Reich gehindert wird. Auf der Leinwand ist eine schöne blonde Frau in Nahaufnahme zu sehen, sie hat Tränen in den Augen. „Nach Hause! Ist das nicht das Schönste im Leben? Heimkehren!“ Zu den Klängen der deutschen Nationalhymne rücken Truppen der deutschen Wehrmacht zu ihrer Rettung an.

Neben Stimmen, die eine Freigabe der Filme für absolut unverantwortlich halten, weil sie ohne eine pädagogische Unterweisung alten und aktuellen Stereotypen Auftrieb geben könnten, werden auch jene laut, die die Deutschen für zu ängstlich halten – etwa der israelische Historiker Moshe Zimmermann.

Später fragt ein Zuschauer, ob eine Herausgabe aktuell, wo Stimmungsmache gegen Fremde wieder an der Tagesordnung sei, nicht besonders gefährdend sei. Im Film gibt darauf ein Schüler aus Frankreich Antwort: „Heute hat sich die Propaganda verlagert und richtet sich gegen Araber und Muslime. Das ist nur unterschwelliger.“ Und auch ein Auschwitz-Überlebender sagt, dass man in Zeiten der Krise, in der Sündenböcke gesucht werden, vorsichtig mit diesem Material umgehen müsse. Moeller selbst schließt den Film mit dem Kommentar des Historikers Götz Aly: „Es wird immer Missbrauch stattfinden. Aber besser, als wenn alles unter der Bettdecke stattfindet. Theresa Dagge

Theresa Dagge

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