Kultur: Liebeserklärung an das Kino
Leipziger Wanderkino im Q-Hof: Stummfilm und unterhaltsames Ballett der Wörter
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Die Luft ist warm und schwül und ein Gewitter kündigt sich an. Langsam „tröpfeln“die Besucher in den Q-Hof, dem eigenen Sommerspielort des Potsdamer Poetenpacks in Potsdam-West, ein. Wenige Tage vorher wurde im lauschigen Hofgeviert noch die Premiere von „Don Quijote“ gegeben. Jetzt, am Dienstagabend, hat sich vor den Resten der Bühnendekoration ein roter Laster quergestellt. Genauer gesagt, ein echter Oldtimer der Marke Magirus Deutz, der noch bis vor wenigen Jahren als Gerätewagen der Freiwilligen Feuerwehr von Töging am Inn seinen Dienst tat.
Dann erwarben ihn die beiden Leipziger Musiker Tobias Rank und Gunthard Stephan, die seit 1999 mit ihrem Wanderkino „Laster der Nacht“ in der Freiluftsaison in ganz Europa unterwegs sind und dieses Jahr erneut an drei Tagen Station in Potsdam machen. Und so langsam nehmen an diesem Sommerabend die echten Kinofans Platz. Um solche muss es sich handeln, denn das Wanderkino präsentiert keine konventionellen Kinofilme, sondern bietet Programmkino vom Feinsten. Es zeigt vorzugsweise Stummfilme, die für die Filmhistorie maßgebliche Bedeutung haben, darunter sowohl Slapstick-Komödien und Monumentalfilme als auch Independent-, Avantgarde- und Experimentalfilme.
Diesmal wird eine sehr vielfarbige Kurzfilmauswahl, die von Buster Keatons „The Boat“ von 1921 bis zum „Filmolog“ (2003) der deutschen Filmemacherin Kirsten Winter reicht, geboten. Und während Keatons grandioses Untergangsszenario vor allem die Zwerchfelle der Zuschauer ordentlich strapaziert, treibt Kirsten Winters knapp siebenminütiger Animationsfilm ein wunderbar intelligentes Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer an das Medium Film. Die Regisseurin übt sich im vollkommenen Bilderverzicht und lässt stattdessen ein anspruchsvolles und unterhaltsames Ballett der Wörter über die schwarze Leinwand flimmern, das großartig das Wesen des Films auf den Punkt bringt. Flugzeuggeräusche und Grillenzirpen bilden den musikalischen Hintergrund, der ansonsten von den beiden, in schwarze Anzüge gekleideten Musikern stammt. Wie in den Anfangszeiten des Kinos untermalen sie live das mal dramatische, mal gefühlvolle Geschehen auf der Leinwand mit Geigenklängen und Pianomusik. Und bei Filmen von Charlie Chaplin oder dem amerikanischen Multitalent des frühen Films, Mack Sennett, haben sie reichlich Gelegenheit dazu. Auch eine Hommage an die Gebrüder Lumière, die Erfinder des Cinématographe, fehlte nicht im Programm, das genauso wie die althergebrachte Vorführtechnik eine großartige Liebeserklärung an das wirklich echte Kino war. A. Priebs-Tröger
A. Priebs-Tröger
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