Kultur: „Liebling und Sorgenkind“
Lesung aus Fontanes Briefe an Tochter Mete
Stand:
Kinder von Prominenzen sind seit langem ein dankbares und wiederkehrendes Kapitel, erst recht, wenn der Refugiés-Name Fontane im Spiele ist. Zum Abschluss der märkischen Lesereihe „Jule war so schön“ präsentierte das Hans Otto Theater im weihnachtlichen Krongut stattliche Auszüge aus der Korrespondenz des Dichterfürsten mit seinem „Liebling und Sorgenkind“ Mete, wie er die einzige Tochter Martha liebevoll nannte. Allerdings hatte das Theater an der Produktion keinen Anteil. Der promovierte und selbst prominente Fontane-Herausgeber Gotthard Erler stellte die Texte aus einem 270 Posten umfassenden „Briefgespräch“ selber zusammen, bis eine „fiktive Autobiographie“ entstand. Die Mete-Auswahl fällt in die Jahre von 1880 bis 1882, die „tollen Briefe von Papa“ stammen meist aus späterer Zeit. Zusammen mit seiner Enkelin Franziska Junge trug Erler sie Sonntag zuerst in Oranienburg, am Frühnachmittag dann in Potsdam vor. Vater und Tochter hie – Großvater und Enkel dort, solch edlen Gespannen bleibt selten der Erfolg versagt. Obwohl im Zugriff eher biographisch als sinnierend, erstand dem vollbesetzten Krongut-Saal ein menschlich warmes, leises, vielleicht etwas zu glattes Bild dieser Eltern-Kind-Beziehung. Martha (1860–1917) zeigte sich selbstbewusst, etwas trotzig: Vater Fontane seufzte oft genug über diesen zickigen „Verzug“ (was verzogen meinte), um ihr klugen Rat für alle Lebenslagen aufzuschreiben, etwa „Wer dient, muss gehorchen“. Flegelhaft-wilde Kinderjahre mit Haarausraufen gegen ihre drei Brüder, die Gymnasialzeit mit anschließender Erzieherinnenstelle östlich der Oder, wo sie sich einer emsig balzenden Männerwelt zu erwehren hatte, ihren Zögling Erich aber auch mal mit der Rute züchtigte – genau wie es die Mutter an ihr getan. Dann folgte schon die „nervöse“ Krankheit, eine von Organkrämpfen begleitete manische Depression, welche letztlich zum suizidalen Fenstersturz in Waren führte. Über Marthas Person wird genauso viel gerätselt wie über Fontanes Verhältnis zu ihr. Hoffnungslos verzogen, trug sie, entgegen der Mode, Kurzhaarschnitt und enge Mieder – ein Sinnbild späterer Emanzipation. Das „talent épistolaire“ dieser Plaudertasche war weithin gerühmt, ihre Reisewut musste Vater Fontane mehr als einmal bremsen. Zu seinen Lebzeiten, so war zu hören, sei sie „keiner erotischen Beziehung fähig“ gewesen, erst mit 39 verband sie sich einem doppelt verwitweten Architekten, 22 Jahre älter als sie. Die Beziehung zu ihrer Mutter war nicht intensiv. Nachdem sie zwei schlecht edierte Brief-Editionen des 1898 verstorbenen Erzeugers herausgegeben hatte, zog sie sich endlich von ihrem Übervater zurück. Er aber setzte ihr im Roman „Frau Jenny Treibel“ ein Denkmal.
In sympathisch zum Publikum gesprochener Ich-Form vorgetragen, begünstigte man eher die harmonischen Töne, durch Briefe an Mutter und einen Bruder ergänzt. Das „Aufschlussreichste und Schönste“ schlechthin, wie es auf dem Programmzettel heißt. Aber war die selbstbewusste und schnurrige Wechselrede zwischen dem „entlaufenen Apotheker“ und seinem „Seiltänzerkind“ wirklich so ungetrübt, wie es der Germanist auf so unterhaltsame Weise vermitteln wollte? Die Züricher Literaturwissenschaftlerin Regina Dieterle stellte vor anderthalb Jahren im Fontane-Archiv eine ganz andere Mete zur Diskussion. Auch Kinder von Dichtern müssen sich zuerst von ihren Eltern emanzipieren, bevor sie es in der Gesellschaft tun, sonst zahlt der Geist am Körper. Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: