Kultur: Liebreizend und sauber
Vocalise 2003 mit Mädchenchören aus Georgien und Potsdam
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Vocalise 2003 mit Mädchenchören aus Georgien und Potsdam Von Peter Buske Mineralienreich war das Land Kolchis, jener legendäre Landstrich mit dem Fluss Rioni im Westen des heutigen Georgiens. Die Mär vom Goldenen Vlies kündet davon. Medea kann darüber mehr als nur ein Lied singen. Gold in Kehlen – das findet sich auch heute noch überall. Beispielsweise bei acht jungen Georgierinnen, die in München studieren, als Mädchenchor „Iberissi“ (was so viel wie „die aus Iberien stammen“ bedeutet) in der dortigen Kirchengemeinde georgisch-orthodoxer Christen mitwirken. Bei ihrem „Vocalise“-Auftritt in der Friedenskirche sorgen die schwarzhaarigen und glutäugigen Vokalistinnen in ihren weißen Blusen für großes Aufsehen und Aufhorchen. Zusammen mit „Cantabile nova“, einer Sangesgemeinschaft aus den Mädchenchören an der Erlöserkirche und der Singschule Babelsberg, bestreiten sie das wenig originell genannte Konzert „Mädchenchöre international“. Beide Chöre singen – jeder für sich – zunächst geistliche Werke a cappella. Den Gästen aus dem Süden gebührt dabei der Auftrittsvorrang. Die gedeckten, vorzugsweise in Alt-Regionen angesiedelten Stimmen strahlen gleich einem Brokatgewirk viel Wärme und Glanz aus. Mit ihrem ausdrucksschlichten, leicht kehligen, etwas herben Gesang verleihen sie den dreistimmigen Vespergesängen, Psalmvertonungen und Marianischen Weisen jene Aura, wie sie einst in den Kirchen und Klöstern rings um die alte Hauptstadt Mzcheta geherrscht haben mag. Sich in die Reihe der Sängerinnen einordnend und aktiv mitsingend, gibt die Dirigentin Nana Gobechia hinter ihren Notenblättern dezente Hinweise für das präzise Zusammenklingen. Was an getragenen, bisweilen fröhlichen Melodien angestimmt wird, bewegt sich in engen Intervallbereichen. In gleichsam „ziehendem“, psalmodierendem Gesang vorgetragen, enthüllt sich die erhabene Schönheit des Liedes „Du bist die Weinrebe“ aus der Feder des georgischen Königs Demetrios II. (12. Jhd.), wobei eine Stimme dem Gesang der anderen mitschwingt wie eine Bordunsaite. Von alledem geht eine nachgerade archaisierende Wirkung aus. Die Seele entschwebt gleichsam auf Flügeln des Gesanges in die Gefilde der Kolchis. Nicht weniger sauber, ein- und ausdrucksvoll, dafür aber durch Kinderstimmen sehr hell getönt, stimmt „Cantabile nova“ diverse geistliche A-cappella-Gesänge aus mitteleuropäischen Gegenden an. Im polyfonen Gewirr des „Ecce Maria“ von Michael Praetorius oder dem des „Domine, non sum dignus“ von Tomas Luis de Victoria (1546-1611) findet sich die Singgemeinschaft vorzüglich zurecht. Im unmittelbaren Kontrast zu den „Iberissi“ klingt bei den deutschen Stimmen manches in der Höhe wie von einem Metallschimmer umhüllt. Sie bevorzugen einen weit gehenden objektivierenden Vortrag, der Auszügen aus der „Stundenmesse“ von Antonio Lotti (1667-1744) oder Hugo Distlerschen (1908-1942) Chorsätzen durchaus angemessen ist. Danach folgt sogleich die (erneut getrennte) Darreichung volkstümlichen Liedgutes durch die Mädchenchöre. Die Georgierinnen singen durchweg heimische Volkslieder, präsentieren ihre durchgebildeten Stimmen nun kraftvoll. Etwas distanziert und im sehr kunstvollen Satz erklingt „Suliko“, ihr Heimathit schlechthin. „Cantabile nova“ dagegen entdeckt manche volksliednahe Preziose von Distler und Brahms. Dabei klingt manches ein wenig zu artifiziell, so als wollten die Mädels unbedingt Kunst machen und nicht sie selber sein. Der gemeinsam angestimmte Gesang des Kanons „Dona nobis pacem“ beendet das herzlich aufgenommene Konzert.
Peter Buske
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