Kultur: Lied an Lied wollen sie nicht
Nino Sandow und Jens-Karsten Stoll im Nikolaisaal
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Nino Sandow und Jens-Karsten Stoll im Nikolaisaal Wo das Leben nur bruchstückhaft überliefert ist, da kann das Werk umso deutlicher sprechen. Francois Villons (1431 bis ca.1463) Dichtung ist hierfür beredetes Beispiel. Die noch genauesten Informationen über sein Leben erfährt man aus alten Gerichtsakten, die eine nicht gerade unerhebliche kriminelle Energie dieses Mannes belegen, und die Faszination an seiner Person zum Teil erklären. Doch Villon, das sind zuerst einmal seine Balladen, seine Lieder. Eine Sprache, so kraftvoll und roh, dem derben Mundwerk des einfachen Volkes, dem Jargon des kriminellen Milieus entsprungen, dabei immer aber die feine Melodie mitschwingen lassend, die schlichte Verse erst zu Lyrik machen. Villon, das ist wie bei Dante, Shakespeare. Der Name spricht hier schon von der Größe. Eigenwilliger Sänger Nino Sandow, der mit dem Pianisten Jens-Karsten Stoll in ein fast überfülltes Foyer des Nikolaisaals kam, hatte seinem Liederabend Villon voran gestellt. Fast schon zwanghaft der Reflex, dass die kommenden 90 Minuten also ganz in der Tradition von Kurt Weill und Hanns Eisler stehen würden. Sandow versuchte auch gar nicht erst, das Rad neu zu erfinden. Doch wer diesen eigenwilligen Sänger kennt, seine Interpretation von Schuberts Winterreise erlebte, der ahnte, dass es ihn oft genug in das Gebüsch neben die ausgetretenen Pfade ziehen würde. Viel Worte verlor er daher nicht, entschuldigte nur das Fehlen des Akkordeonisten Tobias Morgenstern, den Krankheit verhinderte. Singen wollte er und begann dann auch, knurrend wie Louis Armstrong, nicht mit Villon, sondern mit Max Goldt. Sandow zog große Kreise. Villon war ihm Mittelpunkt von dem er konzentrisch ausholte und über Rimbaud, zu Leonard Cohen, Max Goldt und anderen zog. An Vorgaben hielt er sich nicht. Lied an Lied zu reihen fiel ihm nicht ein. Er ließ die Texte ineinander schwimmen, verwischte das Bekannte, gab sich mal schmeichelnd, dann aneckend-kantig. Was diese Lieder verband, war das oft Abgründige, Schattenseitige, das Milieu des Zwielichtigen, von dem sie erzählten. Nino Sandow, der an der Eisler-Musikhochschule Berlin unter anderem Operngesang studierte, gab ihnen mit seiner Stimme nötige Spannung und Abwechslung. Ob leise, manchmal nur gehaucht oder aufbrausend, fast schon donnernd, so wie Sandow an diesem Abend sang, wurden aus den Liedern manchmal ergreifende, manchmal verstörend, manchmal aufschreckende Geschichten. Jens-Karsten Stoll blieb mit seiner Begleitung zurückhaltend, überließ dem facettenreichen Sänger fast ausschließlich die kleine Bühne und gab gerade dadurch seinem Spiel einen besonderen Ton. So ließ man sich auf die Lieder ein, verzichtete auf die Erklärungen, welcher Text von welchem Autor stammte, weil Sandow und Stoll gelang, dass dies unwichtig wurde. Nur bei den Auszügen, die Sandow gelegentlich zwischen den Liedern las, hätte man sich einen Hinweis gewünscht. Denn nur Wenige werden gewusst haben, dass es sich dabei um Ausschnitte „Aus dem Tagebuch eines Trinkers. Das letzte Jahre“ von Eugen Egner handelte, der durch seine skurrilen Karikaturen in der Satirezeitschrift Titanic bekannt wurde. „Hausen“ so erklärte Nino Sandow, hätte er gern diesen Liederabend überschrieben. „Hausen. auf freiem feld mit den dichtern. Da, wo es unwirtlich ist, aber weit“, wie es im kleinen Programmheft stand. Die Lieder sollten dazu ein Feuer sein, um dass alle im Foyer sich kauerten. Sandow und Stoll hielten die Flamme am Leben. Mal als angenehme Glut, dann hellauf prasselnd. Ab und an warfen sie einen dicken Scheit hinein, dass die Funken sprühten. Dem Publikum gefiel dies. Denn sind Könner am Werk, lässt man die Flammen gern näher kommen, ganz bewusst die Gefahr in Kauf nehmend, dass man sich dabei ein wenig verbrennt.Dirk Becker
Dirk Becker
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