Kultur: Lolita mit goldenem Teddy
Opferperspektive: Tanzstück bei den Potsdamer Hofkonzerten zeigt Salome als pubertierendes Mädchen
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Opferperspektive: Tanzstück bei den Potsdamer Hofkonzerten zeigt Salome als pubertierendes Mädchen Von Marion Hartig Sie ist alles andere als eine Lolita, eine Femme Fatale voller Grazie und Weiblichkeit, die ihre Reize wie ein Netz über ihre männlichen Opfer wirft. Salome trippelt, wo eine Femme Fatale schreitet, sie verzieht ihr Gesicht und trotzt, wo eine reife Frau Stolz zeigt. Das Mädchen ist verspielt, pubertär, der goldene Teddy auf ihrem Arm ist ein Symbol dafür. Sie ist verwöhnt und nicht daran gewöhnt, dass man ihr einen Willen abschlägt. Die Choreographin Dominique Efstratiou erzählt die Geschichte der Salome, der wunderschönen Stieftochter des Herodes aus einer ganz neuen Perspektive. In ihrem Tanzstück nach Klängen weltlicher und sakraler Chormusik, das am Samstag im Schlosstheater des Neuen Palais im Rahmen der Potsdamer Hofkonzerte Sanssouci uraufgeführt wurde, ist Salome nicht der legendäre Vamp. Sie ist verspielte Königstochter, die bei ihren Pubertätsexperimenten in einen Strudel der männlichen Welt gerät, der sie, hilflos und allein gelassen, auf den Grund ihrer Existenz zieht. Anders als in Werken von Caravaggio, Picasso, Oscar Wilde und Richard Strauss ist Salome in dieser Aufführung das Opfer. Die Inszenierung konzentriert sich auf das unschuldige Innenleben der Salome. Der künstlerische Ansatz geht auf. Mit einer unglaublich präzisen und emotionalen Körpersprache gelingt es den Tänzern, die Gefühlswelten der Figuren darzustellen. Herodes, der Patriarch (Marko Weigert) wird mit seiner sinnlichen Lust und seiner leichten Unverbindlichkeit erfahrbar. Herodias (Constanze Korthals) überzeugt mit nicht zu übertreffender Grazie. Gerade im Kontrast zu ihrer enorm erotischen Ausstrahlung wirkt Salome, die Tochter (Angela Reinhardt), verspielt kindlich und dennoch aufreizend. Beeindruckend ist das von Salome beobachtete Liebesspiel zwischen Herodes und Herodias, das in der Vereinigung der Körper endet. Besonders gelungen erscheint die Szene, in der Salome beginnt, ihren Körper zu entdecken. Sie streicht sich über das Haar, die Lippen, die Brust, wandert mit der Hand zwischen die Beine. Gewaltige Stimmen, sanftes Summen, melodiöse Lieder, rhythmisches Trommeln geben Takt und Tempo der getanzten Geschichte vor. Die Tänzer schmiegen sich an die Töne, verschmelzen mit ihnen zu einem Ganzen. Nur wenige Requisiten gibt es in dem Stück. Der goldene Teddybär, der goldene Schleier, der rote Kopf, der als Sinnbild für den Kopf des getöteten Johannes steht. Die Kostüme sind schlicht gehalten, vorne weiß, hinten einfarbig mit goldenen Ornamenten verziert. Mehr an Ausstattung (Tina Siebert) wäre auch zu viel des Guten gewesen, nehmen doch die ausdrucksstarke Musik und der Tanz viel Raum ein. Allein die Markenlogos, die plötzlich von oben auf die Bühne herunter gelassen werden, mit ihnen will Herodes im Sinne von „Du kannst dir wünschen was du willst“ Salome zum Tanzen bringen, passen nicht in das sonst mit so wenig auskommende Stück. Nicht nur die Gefühlswelten der Salome bringt der Tanz zum Ausdruck. Er interpretiert gleich alle Charaktere der Geschichte. Und wenn auch Salome in dieser Auslegung als das sich seiner Taten nicht wirklich bewusste Kind gut weg kommt, werden auch das Königspaar, der Opponent und der Soldat in ihrem Handeln verstehbar. Das Stück zeichnet sie als Unfreie, als Gefangene ihrer selbst. Auch wenn das Tanzstück auf ein noch blutrünstigeres Ende verzichtet, Herodes befiehlt seinen Soldaten nicht wie in der Oper von Strauß, die Stieftochter zu töten. Zu einem Happy End kommt es dennoch nicht. Weitere Vorstellungen: im Oktober 2004, Spielplan Hans Otto Theater.
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