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Vorleser mit bekannter Stimme. Christian Brückner im Studio.

©  Uwe Tölle

Kultur: „Luft und Pausen, das sind die Möglichkeiten für den Zuhörer“

Christian Brückner, die deutsche Synchronstimme von Robert DeNiro, über die Suche nach Autoren und die Kunst des Vorlesens / Samstag Lesung in Potsdam

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Herr Brückner, der Markt für Hörbücher gilt als vielversprechend. Aber was hat Sie ausgerechnet dazu bewogen, Karl Marx’ „Das Manifest der kommunistischen Partei“ zu lesen, auf CD brennen zu lassen und dann zum Verkauf anzubieten?

Ja, was hat mich dazu bewogen? Es ist ein wunderbares Stück Literatur, ein auffallend gut geschriebener und in seiner Argumentationsfähigkeit außergewöhnlicher Text. Und es ist ein Text, von dem meine Frau und ich als die beiden Verleger unseres Hörbuch-Verlages unter gar keinen Umständen wollten, dass er in Vergessenheit gerät.

Dann verstehen Sie Ihre Hörbücher also als eine Einladung, Texte zu entdecken?

Unbedingt.

War das auch die Idee, warum sie im Jahr 2000 Ihren eigenen Hörbuchverlag Parlando gegründet haben?

Es gab natürlich mehrere Motive. Als wir in den USA lebten, entdeckten wir dort die Wichtigkeit der Audiobooks, also der gesprochenen Bücher. In jedem Buchladen gab es eine Abteilung, die dort in den 80er Jahren schon an der Tagesordnung waren. Hinzu kam, dass die Anstalten der ARD sich aus dem Geschäft der gesprochenen Literatur immer mehr zurückzogen, was für mich seit Mitte der 70er Jahre ein wichtiges und weites Feld war. Zur selben Zeit entdeckten aber andere in Deutschland das Geschäft mit Hörkassetten und kauften, ja plünderten regelrecht die ARD-Archive. Da dachten wir, auch im eigenen Interesse, das können wir auch. Nicht unwesentlich war natürlich, dass wir einfach Lust und Vergnügen an dem Gedanken hatten, selbst den eigenen Spaß an der Literatur produktiv umzusetzen.

Schaut man sich das Verlagsprogramm von Parlando an, erkennt man schnell, dass die Auswahl von Autoren wie beispielsweise Raymond Carver und Joseph Conrad, Flaubert, Hugo, Handke, Kafka und Cormac McCarthy wirklich exklusiv ist. Die sicheren Verkaufsschlager, die viel Geld bringen, findet man bei Ihnen nicht. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Autoren aus?

Die Antwort fällt da nicht schwer. Es sind unsere Vorlieben, nach denen wir entscheiden. Darunter sind auch alte Bücher und Geschichten, die einen ein Leben lang begleiten. Meine Frau Waltraut stöbert regelmäßig zu den Buchmessen im Herbst und Frühjahr sämtliche Verlagsprogramme durch, findet heraus, was für uns interessant sein könnte, liest dann ganz viel und was davon übrig bleibt, lesen wir gemeinsam. Und wenn wir dann sagen: Das ist ein Autor für uns, versuchen wir an die Rechte zu kommen.

Sind Sie so auch auf den Ausnahmeschriftsteller Denis Johnson gestoßen, aus dessen Buch „Train Dreams“ Sie am Samstag in Potsdam lesen werden?

Ja, den hat meine Frau in einem Verlagskatalog entdeckt, das Buch bestellt, gelesen und festgestellt: Der ist es. Und dann haben wir ihn gemacht. Seitdem haben wir fast alles von ihm für Hörbücher gelesen, außer sein Vietnam-Buch, das einfach zu umfangreich für uns ist. Wir wissen zwar, dass wir mit Denis Johnson kein Geld verdienen. Trotzdem wollen wir ihn, den wir großartig finden, unter das hörende Volk bringen. Bis jetzt ist uns das noch nicht so gelungen, trotzdem halten wir daran fest, versuchen weiterhin Dinge zu machen, die eigentlich gegen den gesunden Geschäftsverstand sprechen.

Wie schaffen Sie dann trotzdem Ihren Verlag zu erhalten, das nötige Geld damit zu verdienen?

Geld verdienen wir damit noch nicht. Aber wir decken mit unseren Einnahmen die Ausgaben des Verlages ab. Und langsam läuft unser Parlando-Verlag besser und natürlich hoffen wir noch immer auf den großen Erfolg.

Was muss Sie als die „Stimme“ mehr an einem Text ansprechen: Die Geschichte oder die Sprache, in der sie erzählt wird?

Das kann natürlich beides sein. Aber wenn ich ein Buch zum ersten Mal lese, begreife ich mich noch nicht als Stimme, als Interpret. Zuerst einmal zählt das reine Vergnügen an dem Buch.

Und wie bereiten Sie sich dann auf die eigentliche Lesung im Studio vor?

Das ist völlig unterschiedlich. Wenn ich das Buch kenne, begebe ich mich da in aller Ruhe rein. Kenne ich es noch nicht, lege ich es nach dem ersten Lesen bis zur Produktion zur Seite und lasse es dann, mehr oder weniger unbewusst, in meinem Kopf arbeiten. Kurz vor dem Termin nehme ich das Buch dann wieder mit dem absoluten Hinblick auf die Lesung, die mündliche Interpretation zur Hand.

Ist das Lesen, in der Form wie Sie es betreiben, nicht vielleicht auch schon eine gewisse Form von Schauspielerei?

Nach meinem Selbstverständnis und dem Verständnis von dieser Art zu lesen unbedingt. Es ist eine Ein-Mann-Show, eine Performance, ohne das Vehikel der wirklichen Bühne, bei der Räume geschaffen werden.

Faszinierend an Hörbüchern ist, dass durch sie Literatur, zu der mancher keinen Zugang findet oder die einem durch die lästige Pflichtlektüre in der Schule verleidet wurde, erfahrbar, verständlich und reizvoll wird. Wie gelingt es Ihnen, einen solchen Text mit dem entsprechenden Leben zu füllen, die oftmals unterschiedlichen Stimmen zum Klingen zu bringen?

Ich weiß vorher nie, ob es mir überhaupt gelingt. Dafür habe ich aber die Regie und meine Frau, die mir dann auch bedenkenlos sagt: Das war leider Scheiße!

Davon einmal abgesehen. Die Kunst eines guten Vorlesers besteht darin, die von Ihnen erwähnten Räume zu öffnen. Sind es diese Räume, mit denen Sie die Texte zum Leben bringen?

Natürlich, wobei die Räume die eine Seite sind. Die andere sind die Pausen, die Luft, die ich dem Zuhörer glaube geben zu müssen, damit sich diese Räume öffnen. Ich will ihn nicht die ganze Zeit überwältigen, ihn förmlich tot quatschen. Luft und Pausen, das sind die Möglichkeiten für den Zuhörer, den ich mir ständig als mein unbekanntes Gegenüber vorstelle, den Text zu verstehen und dann in sich aufzunehmen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Christian Brückner liest am Samstag, 18 Uhr, auf der Terrasse der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, aus „Train Dreams“. Der Eintritt kostet 8, ermäßigt 6 Euro.

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