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Kultur: Lust an der menschlichen Niedertracht Arno-Schmidt-Lesung in der Villa Quandt

Arno Schmidt war einer, der forderte: von sich, von seinen Lesern, ja sogar von der Landschaft: „Mancher mag es ja schön finden, aber ich konnte die widerliche Majestät der Alpenlinie nur mit Achselzucken betrachten“, schreibt er etwa am Anfang seiner Erzählung „Verschobene Kontinente“. Um Geografie geht es darin nur vordergründig, was Schmidt eigentlich beschreibt, ist das merkwürdige Verhalten von Wissenschaftlern und Schriftstellern auf gesellschaftlichen Anlässen.

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Arno Schmidt war einer, der forderte: von sich, von seinen Lesern, ja sogar von der Landschaft: „Mancher mag es ja schön finden, aber ich konnte die widerliche Majestät der Alpenlinie nur mit Achselzucken betrachten“, schreibt er etwa am Anfang seiner Erzählung „Verschobene Kontinente“. Um Geografie geht es darin nur vordergründig, was Schmidt eigentlich beschreibt, ist das merkwürdige Verhalten von Wissenschaftlern und Schriftstellern auf gesellschaftlichen Anlässen. Am Ende aber, nach gerade einmal drei Seiten, verknüpft er Geografie, Gesellschaft und die Frage, wer tatsächlich etwas bewegt, zu einem so eleganten wie feinsinnigen Schluss. Manchmal genügt also die handliche Form, um Arno Schmidts gewaltiges Werk kennenzulernen. Ein kleines bisschen zumindest. „Das Große Lesebuch“, herausgegeben von Bernd Rauschenbach, das sind 23 kürzere Texte des Autors, der als Avantgardist und einer der bedeutendsten Schreiber der deutschen Nachkriegsgeschichte gilt. Am heutigen Donnerstag liest Rauschenbach, der auch Vorstand der Arno- Schmidt-Stiftung ist, selbst in der Villa Quandt aus dem Band.

Arno Schmidt, am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren, wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden, am 3. Juni jährt sich zudem sein Todestag zum 35. Mal. Grund genug, sich mal wieder mit dem originellen Schreiber und scharfen Analytiker zu beschäftigen. Beobachtet und zerlegt hat Schmidt vor allem das, was im menschlichen Bewusstsein passiert. Dieses ganze Wahrnehmen und Erinnern, fand er, sei fragmentiert, sprunghaft oder überlagert von eskapistischen Gedanken. Das wollte er mit seiner Sprache, mit ganz neuen Prosaformen sichtbar machen. Und so liest man bei Schmidt lange, assoziative Monologe, unterbrochen von kursiven Einwürfen, Kästen mit wortmalerischen Exkursen oder aus dem normalen Seitenlayout fallenden Absätzen. Da kann die ungewöhnliche Anordnung der eigentlich langweiligen Worte Kilometerstein, Kilogrammgewicht, Lopez und Lotto schon mal zur eigentlichen Aussage werden, der Wortsinn selbst verblasst.

Meistens aber sind seine Worte eben das nicht: blass, bedeutungslos. Fast lehrbuchhaft konsequent findet Schmidt immer das treffendere – und damit ungewöhnlichere Wort. Wer feixt, lacht eben nicht, und manchmal haucht der Wind eher, als dass er bläst. Die Sprache ist bei Schmidt aber kein Selbstzweck, auch in diesem kleinen Format verpackt sie bei ihm Geschichten mit einem ganz eigenen Witz. Wie in „Kleiner Krieg“, die von zwei Männern erzählt, alten Studienkollegen. „Wir waren uns stets widerlich gewesen“, heißt es da – und so haben sie einen bizarren Schlagabtausch begonnen, der für den einen darin gipfelt, den anderen in die Ehe mit einer Frau zu zwingen. Es sind nicht die erhabenen großen Fragen, die beim Lesen dieses Buches solchen Spaß machen – sondern Schmidts genaue Beobachtung und Lust an der ganz alltäglichen Niedertracht der Menschen. Ariane Lemme

Bernd Rauschenbach liest am heutigen Donnerstag um 20 Uhr in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, aus „Arno Schmidt. Das große Lesebuch“. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro

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