Kultur: Lust kann man nicht erzwingen
Jessica Pohlmann und Roland Menthel gründeten die Freie Musikschule Potsdam
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Jessica Pohlmann und Roland Menthel gründeten die Freie Musikschule Potsdam Von Heidi Jäger Noch herrscht die bekannte Ruhe vor dem Sturm, geben die dicken bunten Tulpensträuße den Ton in den hohen weißen Räumen an. Doch spätestens ab frühen Nachmittag zieht in die zwei Etagen der Freien Musikschule quirliges Treiben ein, mischen sich sanfte Klavierakkorde mit kräftigen Trommelschlägen, zarte Flötentöne mit quietschenden Geigenstrichen. Das Grummeln der Straßenbahn in der Charlottenstraße hat bei diesem vielstimmigen „Kanon" keine Chance, sich in den Vordergrund zu spielen. Erst vor wenigen Tagen ihrer Bestimmung übergeben, hat sich die neue musische Stätte im Zentrum der Stadt erstaunlich schnell herumgesprochen. „Zum Tag der offenen Tür standen die Leute Schlange, so dass wir kaum Zeit hatten, mit allen in Ruhe zu reden", freuten sich Jessica Pohlmann und Roland Menthel dennoch über den enormen Zuspruch. Jetzt sind sie dabei, die Probenstunden der vielen Interessenten „abzuarbeiten". Zwei Kurse für musikalische Früherziehung sind bereits eröffnet, weitere können folgen. Auch ein Saxophon-Quartett steht vor der Gründung: Noch warten allerdings die zwei bisherigen Anwärter auf Verstärkung. „Ein Kinder-Musik-Theater ab fünf Jahren schwebt uns ebenfalls vor, wenn der Zuspruch groß genug ist." Das musische Paar, das auch privat den Gleichklang probt, wohnt seit Anfang des Jahres in Potsdam und hatte Fortuna mit im Umzugsgepäck. „Gleich das erste Objekt, das wir uns für unser Musikschul-Unternehmen anschauten, war überzeugend. Die Räume standen zwar fünf Jahre leer, aber es musste kaum etwas in Ordnung gebracht werden. Ein paar farbenfrohe und praktische Ikea-Möbel neben dem alten Schreibsekretär, ein paar heitere Bilder an den Wänden - und schon war die Einrichtung komplett. Das Innenleben bestimmen nun die Schüler und ihre Musik. Der Umzug von Berlin nach Potsdam ging mit der Suche nach Beständigkeit einher. „Wir wollten nicht mehr von Gig zu Gig leben, sondern selbst etwas aufbauen", erzählt der Saxophonist Roland Menthel, der mit seiner Jazzmusik in wechselnden Formationen durch die Klubs zog und nebenher an der Musikschule Berlin-Reinickendorf unterrichtete. Noch immer ist er auf Tour, will die Zweigleisigkeit vorerst nicht ganz aufgeben. „Schließlich ist so eine Schulgründung auch ein großes Wagnis. Anfangs waren wir ziemlich zuversichtlich, dass es klappen könnte. Doch als die Zeit der Eröffnung nahte, wurde uns auch bange. Allerdings wussten wir, dass es in der Städtischen Musikschule bei manchen Instrumenten lange Wartezeiten gibt. Außerdem setzen wir uns vielleicht im Profil etwas ab, da wir einen starken Akzent auf die moderne Musik legen. Wichtig ist uns vor allem der persönliche Kontakt zwischen Schülern, Lehrern und Eltern, " umreißt Roland Menthel das Konzept. Während er schon seit einigen Jahren das Diplom als Instrumentalpädagoge in der Tasche hat, zieht seine Lebensgefährtin gerade an gleicher Stelle nach. Auch Jessica Pohlmann studiert an der Musikhochschule „Hanns Eisler" Berlin, nachdem sie sich zuvor eine solide kaufmännische Ausbildung zugelegt hatte. Von klein auf mit Blockflöte und Klavier vertraut, zögerte sie dennoch, ganz auf die Musik als Zukunftsmodell zu setzen. „Ich dachte, von Musik allein kann man nicht leben." Nach der Lehre und den ersten praktischen Erfahrungen im Beruf begann sie Umwelttechnik zu studieren - und verfiel nur weiter der Musik. „Ich unterbrach abrupt das Studium, kehrte zurück zu meiner Mutter und schwor mich fortan nur noch auf mein Saxophon ein." Es folgten die ersten Auftritte, und über Kontakte mit anderen Musikern wuchs auch ihre Überzeugung, dass man sein Leben durchaus mit Musik finanzieren kann, und der Spaß dennoch nicht auf der Strecke bleiben muss. Inzwischen ist Jessica Pohlmann im fünften Semester. Parallel zum Studium unterrichtet sie Kurse für musikalische Früherziehung. „Ich habe auch schon in einem Kindergarten mit Problemkindern musikalisch gearbeitet. Das war eine harte Lehre: zehn Kinder in einer Gruppe und ohne Erzieher. Da war man natürlich sehr froh, wenn man es schaffte, dass alle dran bleiben. Bei den Kindern hier in Potsdam spürt man indes, dass sie viel von zu Hause mitbekommen. Natürlich sind auch hier die Kleinen mal schlecht gelaunt oder müde. Dann lasse ich sie eben einfach malen. Lust kann man nicht erzwingen. Beim nächsten Spiel wollen sie dann vielleicht wieder von ganz allein mitmachen. Ich arbeite gern mit kleinen Kindern, auch wenn es nicht immer gleich gut läuft. Aber meistens macht es Spaß und man bekommt sehr viel zurück." 14 Lehrer haben die beiden Existenzgründer inzwischen um sich geschart, die meisten zwischen 25 und 30 Jahre. „Wir haben nur Lehrer, die an der Hochschule - zumeist an Hanns Eisler - studiert haben und zudem menschliche Kompetenz aufweisen", zeigen sich die Zwei von ihrem Kollegium überzeugt. Auch eine eigene Lehrerband wurde bereits gegründet. Die ersten Auftritte führte das noch namenlose Septett an Potsdamer Schulen, mitten in den Unterricht hinein. Nicht ganz uneigennützig, wie sie freimütig zugeben, denn natürlich wollten sie damit auch die Werbetrommel in eigener Sache rühren. „Bis sich die Schule trägt, wird es noch eine Weile dauern." Doch die beiden engagierten Saxophonisten überlassen nichts dem Selbstlauf. Am 5. Juni geben sie ein Konzert auf der Brandenburger Straße. Und sicher wird auch da manch“ Passant in seiner Lust am eigenen Musizieren gepackt.
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