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Kultur: „Macht mir nicht zu viele Krüppel!“ Neues Buch über Friedrich II. erschienen

Preußen brachte zwar viele Herrscher hervor, aber nur einen Fridericus. Über ihn wurden wohl auch die meisten Bücher geschrieben.

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Preußen brachte zwar viele Herrscher hervor, aber nur einen Fridericus. Über ihn wurden wohl auch die meisten Bücher geschrieben. Aber vielleicht hat der Arzt und Schriftsteller Detlef Rüster ja recht, wenn er Friedrich II. in seinem neuen Werk trotz aller Popularität einen „fernen König“ nennt. Wie schon zu Lebzeiten, so bleibe er auch für die Nachgeborenen mit „einer Aura der Fremdheit, der widerspruchsreichen Undurchschaubarkeit umgeben“. Letztlich, so Rüster, projiziere man doch nur seine eigenen Vorstellungen auf ihn.

Also steht gleich am Anfang: „Dies ist nicht Friedrich, sondern ein Bild jenes fernen Königs“. Ein lobenswertes Rüstzeug, besser als jede „historische Methode“. Unter „Geschichte“ versteht er, was man über die Vergangenheit forscht und schreibt, sie selbst erscheint ihm indes „unerreichbar und unberührbar“.

Das erste Kapitel seiner mit viel Liebe geschriebenen „Friderizianischen Miniaturen“ gibt so ein Bild. Im Mai 1786 reist der Marquis de Toulongeon nach Sanssouci, um den todkranken Herrscher zu treffen. Nur einen Augenblick lang sieht er ihn auf der Terrasse von Ferne, im Lehnstuhl. Welchen Friedrich hat er wahrgenommen, fragt Rüster. Gewiss nicht den glücklichen, planenden, übermütigen Kronprinzen, wie ihn das Rheinsberg-Kapitel schildert: Auch nicht den „philosophe guerrier“, zu dem er mancherlei fand – schlechte Versorgung der Verwundeten im Kriege, dazu der verdeckte Hinweis an seine Ärzte: „Macht mir nicht zu viele Krüppel!“ Sie waren im Frieden danach vom Staat zu ernähren. So ging wohl mancher auf blutigsten Feldern für ihn dahin. Andere wurden geheilt an die Front zurückgeschickt.

Oder sah der Marquise den Schriftsteller, Schöngeist und Philosophen, welcher mit der intellektuellen Crême Europas korrespondiert? Seine Klage über die von der Aufklärung ausgelöste Bücherflut ist heutigen Umständen ähnlich. Bilder nur, alles nur Gleichnis. Auch mit dem Kapitel über Friedrichs ungläubigen Vorleser und Arzt Julien Offray de La Mettrie, Autor des damals umstrittenen „Der Mensch als Maschine“, lässt sich leicht ein Bogen zur mechanischen Geistigkeit heutiger Tage schlagen. Kurzum, mit diesem „fernen König“ und seinem neuen Autor Rüster kommt man stets in der Gegenwart an, zumal man auf eine Fülle von historischen Zitaten stößt.

Viel Raum nehmen die zahlreichen Krankheiten Friedrichs ein. „Epikrise royale“ etwa behandelt seine Leiden aus Sicht der heutigen Medizin. Man kann sie mit dem nachgedruckten „Original“ von 1786 aus der Feder des Leibarztes Christian Gottlieb Selle vergleichen. Er war sehr beeindruckt, wie tapfer der einsame Stoiker und Misanthrop sie alle ertrug. Befremdendes sogar noch posthume: Als man 1991 das Gewölbe auf dem Weinberg für Friedrichs letzte Grablegung öffnete, sah man, wie sehr es der Familiengruft in der Garnisonkirche ähnelte.

Ein weiteres Extra dieses schönen Buches hält Dichtungen des Königs zu Ansichten aus seinen Parks bereit: Erstaunlich, im poetischen Wort klingt seine Stellung zu Gott etwas anders als beim Disput mit Voltaire.

Ein Spaziergang durch das heutige Potsdam – ein neues Stadtschloss inklusive– zuletzt. Haben wir Friedrich nun gefunden, und wenn ja, welchen, fragt Rüster. Das entscheidet allein die Wahl der Wege zu ihm. Eine Aura der Fremdheit, der „Unberührbarkeit" bleibt trotzdem. Sie macht seine Größe erst groß, als „Geschichte“. Gerold Paul

Detlef Rüster: Der ferne König. Friderizianische Miniaturen, Stapp Verlag, Berlin 2008, 192 Seiten, 19,80 €

Gerold Paul

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