Kultur: Mahnung
Gedenken an die Zerstörung Potsdams
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Langsam ebbt das anhaltende, weithin hallende Geläut aller vier Glocken der Nikolaikirche ab. „Am Abend des 14. April gingen wir wie so oft in den Luftschutzkeller, nicht ahnend, dass “, beginnt der Erinnerungsbericht eines Potsdamers, der sich an das Inferno der Bombennacht vor 65 Jahren erinnert. Schlicht wird es von einem jungen Mädchen vorgetragen. Weitere gedenkende und mahnende Worte, Erinnerungen an Tote, an deutsche Schuld nebst der Bitte um Vergebung tragen auch Vertreter der mittleren und älteren Generation vor. Mit dieser Textcollage, von Stadtkirchenpfarrer Markus Schütte zu einem ergreifenden Bekenntnis von Verantwortung gegenüber der Geschichte zusammengefügt, eröffnet sich in der vollbesetzten Nikolaikirche das Gedenken an die Zerstörung des historischen Zentrum Potsdams.
Den geistlichen Gedanken folgen die weltlichen, vorgetragen von Oberbürgermeister Jann Jakobs: „Um 17 Uhr startet die Bomberflotte von England aus, Stunden später steht Potsdam in Flammen. Warum dieses Inferno?“ Er stellt weitere Fragen, sucht Antworten nach Ursachen, ruft Zeitläufte wieder wach: „Der Tag von Potsdam mündete in die Nacht von Potsdam, der die Konferenz von Potsdam folgte.“ Gemeinsam ertönt aus vielen Kehlen das Kirchenlied „Verleih uns Frieden gnädiglich“, sorgen Fürbitten für die Opfer des Krieges, eine Schweigeminute und das in Englisch und Deutsch gesprochene Nagelkreuzgebet für die innere Einkehr jedes einzelnen.
Nach all diesen Hinwendungen an den Verstand hat dann die seelenerhebende Musik das Wort: Mozarts Requiem d-Moll KV 626. Es sei das erste Werk gewesen, erinnert, Gemeindekirchenrat Harald Geywitz, das nach dem Krieg mit Erlaubnis der sowjetischen Militäradministration erklingen durfte. Im Altarraum ist der Nikolaichor Potsdam hinter der Neuen Potsdamer Hofkapelle, mit Konzertmeister Wolfgang Hasleder an der Spitze, akustikfreundlich im Halbkreis aufgestellt. Statt der üblicherweise verwendeten Süßmayr-Fassung entschied sich Björn O. Wiede für die Notenvollendung von Franz Beyer. Sie kommt seiner konzentrierten, auf Genauigkeit bedachten, die dynamischen Extreme meidenden Deutung sehr entgegen. Allerdings vermisst man bei aller Verinnerlichung doch ein wenig die chromatischen Reibungen des Originals und dessen Süßmayr’schen Ergänzungen.
Ist es dem Anlass geschuldet, dass die vor große Aufgaben gestellten Chorsänger sich ganz von ihrer stimmbesten, will heißen: homogenen, warm getönten und geschmeidigen Seite zeigen?! Den Ohren sehr angenehm, wie schärfefrei die Soprane neben den klangschönen Alten und Männerstimmen nunmehr klingen. Straff artikuliert und sehr bedrohlich werden die Tage des Zorns angestimmt. Geradezu beschwörend klingt das „Lacrimosa“, in intimer Eindringlichkeit das „Offertorium“. Und das Orchester? Vom innig-schmerzvollen Beginn des „Introitus“ an musiziert es in historisierender Manier: vibratolos, voller Intensität spröde Klänge erzeugend. Die instrumental geführten Stimmen des gut zusammenpassenden Solistenquartetts – wobei besonders Max Kiener mit strahlendem Tenor begeistert – bevorzugen eine objektivierende Lesart.
In Stille geht man nach der hoffnungsfroh angestimmten Bitte um ewige Ruhe auseinander. Unterdessen bilden andere Zuhörer mit unzähligen brennenden Teelichtern auf den Kirchenstufen ein leuchtendes Kreuz des Gedenkens. Und wieder hallt das Geläut der vier Glocken weit in die Stadt hinein. Peter Buske
Peter Buske
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