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Selbstbildnis mit Lebensbaum (1937).

© Michael Lüder/Siegward Sprotte Stiftung, Armin und Cosmea Sprotte 

Kultur: Malerisch in die Natur eindringen

Jutta Götzmann über die Ausstellung „Die Welt farbig sehen“ zum 100. Geburtstag von Siegward Sprotte

Stand:

Frau Götzmann, dem Potsdamer Maler Siegward Sprotte widmen Sie anlässlich seines 100. Geburtstags im April unter dem Titel „Die Welt farbig sehen“ eine Retrospektive. Das klingt paradox, schließlich sehen wir die Welt doch täglich farbig.

Der Titel ist ein Zitat Siegward Sprottes aus einem seiner Kampener Dialoge. Sprotte hat sich zeitlebens intensiv um die Farbe bemüht. Das ist es, was wir in unserer Ausstellung gern in den Blick nehmen möchten. Wir zeigen ihn als Maler, der der Farbe eine ganz besondere Wertigkeit zugesprochen hat. Bei Sprotte ist Farbe das Synonym für Gegenwärtigkeit. So wie er in der Sprache Vokale und Konsonanten in ihrer Wertigkeit unterschieden hat, vollzog er es auch in der Kunst, und zwar mittels Unterscheidung von Schwarz-Weiß-Techniken und Farbe. Für Sprotte steht hinter der Farbigkeit ein philosophisches Konstrukt: Er setzt den Schwarz-Weiß-Denkern, den Gegensatzdenkern die chromatische Vielfalt gegenüber. Die Wahrnehmung der Farbe ist für ihn ein intensiver Prozess der Auseinandersetzung.

Und diesen Prozess der Auseinandersetzung wollte er auch beim Betrachter auslösen? Dass wir zwar glauben, die Welt farbig zu sehen, aber Sprotte uns in dieser Hinsicht eines Besseren belehrt?

Er belehrt uns nicht eines Besseren, er macht uns bewusst, Farbe stärker wahrzunehmen. Lassen sie mich mit einem Zitat Sprottes ergänzen: Der Maler braucht die Zeichnung, ... aber je weniger Zeichnung notwendig ist, desto größer die Malerei.

Immer wieder ist Siegward Sprotte in den vergangenen Jahren vor allem mit seinem kalligraphischen Spätwerk in Ausstellungen zu sehen gewesen. Was werden Sie in der Retrospektive zeigen?

Unser Anliegen ist, seine gesamte Lebensspanne in den Blick zu nehmen, denn Sprotte ist ein Künstler, der das gesamte 20. Jahrhundert durchlebt hat. Wir fangen mit Arbeiten seines Potsdamer Frühwerks an, die bisher noch nicht oder kaum ausgestellt waren. Arbeiten, die in altmeisterlicher Technik den Beginn seiner Berliner Akademiejahre markieren und durch eine anfänglich minutiös-detaillierte und gegenständliche Arbeitsweise gekennzeichnet sind. Von hier schlagen wir in acht thematischen Werkgruppen den Bogen bis zum reduzierten, nahezu ungegenständlichen Spätwerk. Es hat schon einige Ausstellungen zu Sprotte gegeben, aber mit neuen Fragestellungen werden auch neue Antworten gefunden, vor allem dann, wenn man ihn durch seine eigenen Schriften selbst zu Wort kommen lässt.

Einen Schwerpunkt der Retrospektive werden auch die Schriften Sprottes ausmachen?

Wenn ich sage, dass wir uns stärker seinen Schriften widmen, dann ist es dem Umstand geschuldet, dass Siegward Sprotte gerade in der frühen Phase der Orientierung nahe alle seine künstlerischen Entscheidungen und wegweisenden Begegnungen in Tagebüchern festhielt. Im Jahr 1927, er ist 14 Jahre alt, fing er an, kontinuierlich Tagebuch zu führen. Ihm ist das Schreiben anfangs sehr wichtig. In dieser frühen Zeit zeigt sich auch, dass Siegward Sprotte noch nicht genau wusste, ob er Maler der Dichter werden wollte, oder besser gesagt, wie er Malen und Schreiben austarieren konnte. Eine lange Zeit begleitete ihn immer beides. Ihm ist die Sprache enorm wichtig, ebenso die Literatur und die Philosophie. Ich glaube, im Zusammenspiel von Schreiben und Malen zeigt sich, warum Siegward Sprotte als Maler einen gewissen Weg gegangen ist. Sein Spätwerk erschließt sich einem sehr gut, wenn man mit seinem Frühwerk und seiner breiten Interessensausbildung beginnt und versucht, ihn aus seinen eigenen Aufzeichnungen zu verstehen.

Siegward Sprotte also ein Künstler, für den Wort und Bild gleichberechtigt waren?

Auf jeden Fall. Das später von ihm geprägte, fast schon sprichwörtliche Synonym für Siegward Sprotte „Aug in Auge“ hält es ja sehr schön fest. Dass die Simultanität zwischen Sprechen, Erkennen und Malen ihn sein ganzes Leben begleitet hat. Anfänglich sind es die Dialoge, die er nutzt, um Personen zu porträtieren. Er führt diese Dialoge, er schreibt wichtige Persönlichkeiten der Geistesgeschichte an und es kommt ja nicht von ungefähr, dass er die Porträtreihe „Köpfe der Gegenwart“ in den 50er Jahren zeichnet.

Darunter neben Karl Jaspers und Eugen Herrigel auch Hermann Hesse.

Ja, Hermann Hesse, ein Autor den er seit frühester Kindheit kannte, den er zeitlebens bewundert hat und den er persönlich kennenlernen wollte. Sprotte sagte, ich male Dialoge. Das Porträtieren war ihm sehr wichtig, es unterstützte diese Dialogsituation. Der Dialog stand im Vordergrund und das Porträtieren war unmittelbar damit verbunden.

Es ist aber auch die Zeit, in der Sprotte ein distanziertes Verhältnis zum Porträt entwickelt.

Weil er merkt, dass er die Menschen im Bildnis bannt, dass er sie festhält. Das will er nach den Diskursen mit den „Köpfen der Gegenart“ nicht mehr. Das führt ihn so weit, dass er, natürlich aus seiner philosophischen Ausrichtung heraus, nur noch die Momenthaftigkeit akzeptiert und Menschen nicht mehr fixieren möchte. Hieraus entsteht der Gedanke der Bornstedter Dialoge und der Kampener Ateliergespräche. Er lädt Menschen zu Dialogen ein und beschäftigt sich in der Malerei mit dem allerwichtigsten Thema, das ihn seit seinen Anfangsjahren beschäftigt hat, um es zu perfektionieren. Das Thema der Landschaft.

Momenthaftigkeit und Perfektion, das klingt schon wieder ein wenig paradox.

Perfektionieren nicht in dem Sinne, dass er mit einem großen Konzept und einer Idee der Herangehensweise seine Arbeiten beginnt, vielmehr lässt er sich ganz auf das Unmittelbare ein. Sprotte wollte zwischen Idee und Ausführung keine Zeit vergehen lassen, dieser Gedanke bestimmt sein ganzes Spätwerk.

Warum wurde ausgerechnet die Landschaft für Siegward Sprotte zu einem Lebensthema?

Die Landschaft ist ihm bereits im Studium sehr wichtig. Das zeigt sich auch an den Lehrern, die er besucht hat. So schreibt er in seinem Tagebuch, dass ihn weniger das Aktzeichnen interessiert hat, hingegen aber die Seminare bei Emil Orlik, die fernöstlich geprägt waren. Orlik stellte einen Baumstumpf in die Mitte des Seminarraums und forderte die Studenten auf, die Natur minutiös bis auf das Kleinste zu beherrschen, bevor sie auf andere Themen übergehen. Zugleich entwickelt Sprotte in jüngsten Jahren eine große Bewunderung für Karl Hagemeister. Dies führte zu einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Landschaftsmalerei in der Praxis.

Warum sah Siegward Sprotte im Gegensatz zum klassischen Porträt vor allem in der Landschaft die große Möglichkeit, sich künstlerisch zu entwickeln?

Sprotte ging es in seiner Auseinandersetzung nicht darum, die Natur abzubilden, sondern malerisch in Prozesse der Natur einzudringen. Wie Hagemeister sagte: Wenn du eine Woge abbilden willst, dann musst du selbst zur Woge werden. In diese Naturprozesse einzudringen, das ist eigentlich ein Thema, das ihn sein Leben lang begleitet hat. Ein anderer wichtiger Aspekt in seiner Entwicklung ist, dass ihm klar wurde, dass er in der Landschaftsmalerei komplett neue Wege gehen kann, um Ziele zu erreichen, die in anderen Gattungen, wie dem Porträt, schon erreicht worden sind. Sprotte äußert in seinem Tagebuch, dass in der alten Kunst so große Meister wie Michelangelo am Werk gewesen sind, dass er glaubt, dass das Thema vollendet ist. Zugleich fragt er sich, ob wir auf der alten Tradition aufbauen müssen, wo der Mensch im Mittelpunkt steht? Oder ob es nicht einen neuen Weg von der Landschaft aus gäbe. Beim Landschaftsthema ist es diese Prozesshaftigkeit, die ständige Neubildung, der er in seiner Kunst einen eigenen Ausdruck verleihen kann.

Die Hingabe zur Landschaft, liegt die auch in seiner Kindheit in Potsdam begründet?

Ich glaube, es sind mehrere Themen, die ihn in Potsdam ganz stark geprägt haben. Zum einen ist es das starke Naturerlebnis, dass er hier in einer wunderbaren Landschaft aufwächst. Dann sind die Vorfahren seiner Familie zu nennen, die Gärtner im Park Sanssouci waren, sowie Karl Förster als Staudenzüchter in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Kindheit und Jugend in einer ganz wunderbaren Umgebung, die unberührte Natur ringsherum, das prägte ihn, ebenso aber auch die angelegte Natur im Park Sanssouci. Er selbst beschreibt seine Besuche im Park und die Faszination für die Umgebung. Ich glaube, dieses starke Empfinden für die Natur setzt sehr früh, bereits im Elternhaus ein.

Sie sagten, dass in dieser Potsdamer Zeit für Siegward Sprotte noch offen war, ob er sich für das Malen oder das Schreiben entscheidet. War es dieses besondere Naturerlebnis in Potsdam, das ihn dann doch zur Malerei gebracht hat, zu seiner intensiven Auseinandersetzung mit den Farben?

Ich glaube, es war in erster Linie seine große Befähigung für die Malerei, die er in frühesten Jahren erkannt hat. Er bekommt während erster Ausstellungen in der Potsdamer Schulzeit sehr positive Rückmeldungen. Auf der Akademie setzte sich das in den 30er Jahren fort, als Student erhielt er erste Porträtaufträge für Professoren. Sprotte erkannte, dass er in der Malerei Ziele erreichen kann, die ihm in der Sprache verwehrt bleiben. Aber er verließ die Sprache nicht, sie begleitete ihn zeitlebens. Man sieht in den Tagebüchern, wie intensiv er sich mit den Klassikern der Literatur über Jahre beschäftigt hat, zum Beispiel mit Goethe und dem „Faust“. Er fing Ende der 1920er Jahre mit der Lektüre an, in den 40er Jahren beschäftigten ihn Textstellen immer wieder. Das erwähnte „Aug in Auge“-Zitat begegnete ihm zum Beispiel in Goethes „Faust“. Die wichtigen Impulse für seine bildende Kunst sind eben auch aus der Sprache hervorgegangen. Ohne Sprache wäre seine Kunst nicht vollständig, man muss sie integral mitdenken.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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