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Zukunftsorientierte Gemeinschaft. Die Musiker der Kammerakademie Potsdam mit ihrem künstlerischen Leiter Antonello Manacorda (v.)

©  KAP

Kultur: Man wird ja auch mal träumen dürfen

Ein ungewöhnlicher Blick nach vorn zum zehnjährigen Jubiläum der Kammerakademie Wir haben mit dem Hans Otto Theater einen weiteren Ort für Operninszenierungen“

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Zwei Sätze aus dem Buch „Potsdam. Wo es am schönsten ist – 66 Lieblingsplätze“ haben Frauke Roth, Geschäftsführerin der Kammerakademie Potsdam, dazu bewegt, anlässlich der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum der Kammerakademie am heutigen Freitag nicht einfach nur Wünsche für die Zukunft zu äußern. „Schöne Träume sind gut für die Zukunft, sie mobilisieren uns, wenn wir uns mit den unerfreulichen Realitäten der Gegenwart auseinandersetzen müssen. Letztlich gestalten sie die Zukunft mit“, schreibt Saskia Hüneke, Kustodin der Skulpturensammlung der Schlösserstiftung und langjährige Stadtverordnete, in „Potsdam. Wo es am schönsten ist“. Wenn Träume also letztlich die Zukunft gestalten, so Frauke Roth, möchte sie in diesem Interview träumen, wie es der Kammerakademie beim 20-jährigen Jubiläum im Jahr 2021 geht. Die PNN ließen sich darauf ein.

Frau Roth, wer hätte 2011 bei den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum gedacht, dass aus den Büroräumen der Kammerakademie hier in der Wilhelm-Staab-Straße gleich neben dem Nikolaisaal ein Café entstehen würde.

Ja, ein Kunst-, Kultur- und Literaturcafé, in dem auch die mittlerweile zahlreichen Aufnahmen der Kammerakademie erhältlich sind. Ein Ort, der durch die Künstler belebt wird, an dem sie essen gehen, an dem Gespräche und Verhandlungen stattfinden. Und Sie haben Recht, vor zehn Jahren gaben die Raumkapazitäten das überhaupt nicht her. Mittlerweile ist der Landtag im wiederaufgebauten Stadtschloss eröffnet und Nikolaisaal und Kammerakademie sind mittendrin in der wiederentdeckten historischen Mitte, die zahlreiche Touristen anzieht.

Warum die Entscheidung der Kammerakademie, sich nicht allein nur als Hausorchester des Nikolaissaals zu sehen, sondern sich auch klar zur historischen Mitte zu bekennen?

Der Nikolaisaal war und ist unsere Arbeits- und Brutstätte, wo alles entsteht. Das ist für unser Orchester und für deren Verwurzelung, Kontinuität und Entwicklung von ganz herausragender Bedeutung. Aber wir wollten schon sehr früh ein maßgeblicher und auch so wahrgenommener Baustein dieser historischen Mitte sein.

Da hätte es leicht passieren können, dass die Kammerakademie sich selbst zu einem Denkmal macht, wenn sie sich nur auf entsprechende historische Werke beschränken würde.

Natürlich ist Potsdam sehr stark vom 18. Jahrhundert geprägt. Und natürlich haben wir hier unseren Standort. Aber das war für uns auch immer Chance und Herausforderung, Neues entstehen zu lassen. Das gilt nicht nur für die Kammerakademie, sondern für den gesamten Nikolaisaal. Zusätzlich ist die Kammerakademie das Kammerorchester der Region, also für Brandenburg geworden. Es ist das einzige Kammerorchester, das sich nicht auf nur eine Richtung spezialisiert hat und mit dem sich die Musiker auch mehr als nur identifizieren. Junge Leute kommen regelmäßig hierher, um die Proben zu erleben, um nur ein Beispiel zu nennen. Das sind nicht nur Potsdamer. Auch viele Touristen finden hier ein offenes Haus, in dem nicht nur am Abend Kunst geboten wird. Diese Offenheit betrachte ich mehr und mehr als einen ganz entscheidenden Identitätsfaktor für die Stadt.

Ein Identitätsfaktor?

Ja, wie bei einem Fußballverein, beispielsweise Turbine. Das hat etwas Regionales, Lebendiges und gleichzeitig Verbindendes. Und in einer Stadt wie Potsdam, wo vieles museal ist, ist es besonders wichtig, dieses Lebendige, diese Ensembles, ob nun Orchester, Theater oder Fußballmannschaft, zu stärken.

Wie im Sport und im Theater ist die Jugendarbeit in der Kammerakademie ein immer wichtigerer Faktor geworden. Die Musiker bieten nicht mehr nur regelmäßige Kinder- und Jugendkonzerte oder Workshops an. Mittlerweile werden auch junge Nachwuchsmusiker hier unterrichtet und sind schon mit der Kammerakademie zusammen aufgetreten.

Kooperationen sind noch viel wichtiger geworden, als sie es bereits beim zehnjährigen Jubiläum waren. Und dabei haben wir gelernt, dass durch das Zusammenbringen unterschiedlicher Stärken viel mehr möglich ist, als wenn man nur als Einzelkämpfer agiert. Eine andere Erfahrung ist, dass es viel sinnvoller ist, wenn Kooperationspartner direkt zusammen arbeiten können und keine anderen Stellen dazwischen geschaltet sind.

Sie sprechen die nicht immer förderlichen bürokratischen Abläufe an?

Verwaltung ist da nicht immer hilfreich. Der Bereich „Education“, also die Musikvermittlung, die 2011 noch hauptsächlich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen konzentriert war und erst ihren Anfang nahm, ist jetzt viel umfassender und hält auch Angebote für Senioren und z.B. kranke oder behinderte Menschen bereit. So ist die Kunst, nicht nur die Musik, wieder stärker in unser aller Bewusstsein gerückt und im Grunde eine Art Grundrecht geworden.

Was sich auch darin zeigt, dass die Proben der Kammerakademie mittlerweile fast so gut besucht sind wie die eigentlichen Konzerte.

Zu den Konzerten kommen sehr viele junge Menschen, und auch die Proben sind sehr stark mit dem Leben der Leute aus unserer Kommune und darüber hinaus verbunden sein. Denn der Nikolaisaal ist ein offenes, ja durchsichtiges Haus. Und nicht nur abends! Die personelle Situation ist auch 2021 zwar noch immer nicht gerade üppig. Aber wir haben erreicht, dass das Haus jetzt den ganzen Tag geöffnet ist und entdeckt werden kann.

Neben der personellen hat sich 2021 auch die finanzielle Situation der Musiker verbessert. Es gibt Mindestlöhne und eine bessere soziale Absicherung auch für freie Orchester wie die Kammerakademie. Trotzdem hat man den Eindruck, dass dieses Orchester wie schon vor zehn Jahren immer an seinen Grenzen arbeitet. Die Winteroper ist dauerhaft durch Sponsoren gesichert, schon wird der Wunsch nach einer Sommeroper laut. Auch bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci sind Sie jedes Jahr mit dabei. Ist da überhaupt noch Spielraum für neue Projekte?

Oper ist ein noch wichtigerer Bestandteil des Orchesters geworden, als es schon 2011 der Fall war. Schon bei der Gründung 2001 war Musiktheater ein Teil unseres Betreiberkonzepts. Damals nur mit Blick auf die wunderbare Spielstätte Schlosstheater im Neuen Palais. Aber wir haben 2021 mit dem Hans Otto Theater einen weiteren hervorragenden Ort für Operninszenierungen hinzubekommen. Und auch das Fehlen solcher Opernaufführungen im Land Brandenburg, wie es bei unserem zehnjährigen Jubiläum 2011 leider der Normalzustand war, haben wir mittlerweile bis zu einem gewissen Punkt durch unsere Gastspiele kompensieren können. Aber Sie haben Recht: Wenn wir neue Projekte anschieben wollen, müssen wir immer wieder über die Strukturen nachdenken und überlegen, was überhaupt noch möglich ist. Gleichzeitig aber muss leider immer noch darüber nachgedacht werden, dass endlich solche Strukturen geschaffen werden, die uns natürlich anspornen. Die aber nicht darauf ausgelegt sind, dass wir uns immer ausbeuten.

Warum sucht die Kammerakademie aus diesem Dilemma nicht mit einer internationalen Karriere herauszukommen? Sie haben unter ihrem langjährigen künstlerischen Leiter Antonello Manacorda erfolgreich alle Schubert-Sinfonien eingespielt und sind immer wieder nicht nur auf europäischen Bühnen ein gern gesehener Gast.

Es gibt ja Orchester, die das so betreiben, wie beispielsweise das Mahler Chamber Orchestra oder auch das Kammerorchester Basel. Die haben aber auch eine andere Genese. Bei der Kammerakademie funktioniert das nur durch eine sehr starke Verankerung hier vor Ort und in dieser Region. So ein stabiles Zuhause zu haben wie wir hier in Potsdam, ist auch für eine Entwicklung und Profilierung ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Profiliert hat sich die Kammerakademie hier in Potsdam auch durch gut besuchte Konzerte mit zeitgenössischer Musik.

Zeitgenössische Musik war 2011 noch mit viel mehr Angst verbunden, ob wir das mit der Auslastung schaffen würden. Außerdem gab es hier keine wirkliche Szene, die sich für solche moderne Musik interessiert hätte. Aber da haben sich dann doch die Musiker durchgesetzt und darauf bestanden, dass es auch unsere Aufgabe ist, das anzubieten. Auch haben die Musiker einfach Lust darauf, andere Spieltechniken auszuprobieren, neue Werke zu spielen. Doch diese Konzerte mit zeitgenössischer Musik brauchen immer wieder eine ganz besondere Pflege.

Frauke Maria Roth, geb. in Hamburg, studierte in Freiburg im Breisgau mit Hauptfach Querflöte und ist seit April 2001 Geschäftsführerin der Kammerakademie Potsdam gGmbH.

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