Kultur: Männer mit Pistolen
„Sehsüchte“ II: Gesprächsduell im Kino
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Zwei Kontrahenten, nur zwei Optionen, Tod oder lebendig. Das Duell im Western ist ein uraltes Filmmotiv, schon im frühen 20. Jahrhundert standen sich Gut und Böse, schwarzer und weißer Hut, gegenüber. Am Donnerstag fragte man Experten auf dem Sehsüchte-Festival nach dem ideologischen Überbau des ultimativen Zweikampfes. Der Kulturwissenschaftler und Journalist Ronald Düker und die Berliner Medienphilosophin Gerburg Treusch-Dieter saßen sich auf dem Podium des kleinen Kinosaals 3 gegenüber. Für einen peitschenden Schlagabtausch, bei dem den Kontrahenten die Argumente um die Ohren fliegen, war man sich zu einig. In unserer Zeit hat die Kultur des Konsenses das Konfrontative offensichtlich längst zur Strecke gebracht. Dennoch: Einem Festival, das so viele bunte Bilder durch die Köpfe schwirren lässt, tut ein ruhiges Nachdenken in seinem Rahmenprogramm sehr gut.
Schon allein die Erhellung des Sehsüchte-Trailers mit den Worten der Geisteswelt führte zu mehr Verständnis des Ganzen. Jener Werbefilm des Festivals, bei dem der Schattenriss eines Kinozuschauers in ein Western-Duell gerät und von den Kugeln der Widersacher getroffen wird, hatte ja das Festival-Motto „Goldrausch“ vorgegeben, und dieses Gespräch motiviert. Ist der von den Kugeln der Duellanten getroffene Schatten des sich ins Bild schiebenden Zuschauers als „Kollateralschaden“ zu verstehen, da sozusagen durch diesen Kunstgriff das Medium verlassen wurde? Oder geht es im Trailer eher um eine Kampfansage der Fiktion (Duellanten) an das reale Kinopublikum (Schattenriss mit Popcorntüte), und um die Wiederherstellung der narrativen Ordnung, wie Zuhörer interpretierten? Ronald Düker dechiffrierte das klassische Filmduell als Träger einer nordamerikanischen Ideologie, die mit der historischen Realität wenig zu tun hatte. Den meist von der amerikanischen Ostküste stammenden Filmautoren ging es bei der Überspitzung des Duells im Wilden-Westen einerseits um die Überdeckung der wirklichen gesellschaftlichen Konflikte der Zeit. Wie zum Beispiel der Kontroverse über die Frage der afrikanischen Sklaven. Andererseits wären nachweislich von den 587 verbürgten Schusswechseln im 19. Jahrhundert höchstens eine Hand voll wirkliche Duelle gewesen. Die realen Vorlagen fanden die Erfinder in mittelalterlichen Ritterepen wie in denen des schottischen Schriftstellers Sir Walter Scott. Dies ließ Medienphilosophin Treusch-Dieter auch von einer gleich „doppelten Verbrämung“ durch den Western sprechen.
Düker führte nun anhand von Filmausschnitten vor, wie der klassische Western-Topos kreativ modifiziert wurde. In den „linken“ Italo-Western eines Sergio Leones („The Good, the Bad and the Ugly“) wurde das „binäre System“, bestehend aus den beiden Kontrahenten, durch eine dritte Figur, den Hässlichen, erweitert. Nun belauern sich drei Opponenten, wer als erster seine Pistole zieht. Die geradlinige Bewegung, gleichsam die der American Frontier von Osten nach Westen, würde so bei Leone zur schlingernden, klaustrophobischen Kreisbewegung.
Takashi Miikes Horror-Endzeitschocker „Dead or Alive“ war für Treusch-Dieter das bis zum Ende der Globalisierung gedachte Motiv des Duells. Den künstlichen Cyborgs gleich bekriegen sich die beiden unverwundbaren Kontrahenten, bis die Welt durch eine atomare Explosion vernichtet wird.
Die Anziehungskraft des Duell-Motivs liege, so die Experten, an der universellen Übertragbarkeit des Schemas. Das reiche bis „Müntefering als Sheriff, der jeden in der Partei abknallt, der nicht gehorcht“, so Gerburg Treusch-Dieter. Das Hauptmerkmal der Western-Charaktere wäre das „Mit-sich-selber-identisch-sein“. Das feste Gefühl, auf der rechten Seite zu stehen, das ein Schuldgefühl nicht zulassen würde. Gerburg Treusch-Dieter wies darauf hin, dass dieses klassische Merkmal auch in der aktuellen US-amerikanischen Politik zu finden sei. Der Western als spannende Fortsetzungsserie.
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