Kultur: Märchen und Magie
Christian Köhler ist am Sonntag als neuer Polizeiorchester-Chef im Nikolaisaal zu erleben
Stand:
Herr Köhler, Sie haben bereits das Filmorchester Babelsberg oder das Cape Philharmonic Orchestra in Kapstadt als Gast dirigiert. Seit Juni leiten Sie nun das Landespolizeiorchester Brandenburg. Dirigiert es sich in Uniform anders als im Anzug?
Nein, das macht keinen Unterschied. In Uniform ist man vielleicht eine Spur seriöser, schließlich repräsentiert man die Polizei des Landes Brandenburg. Da muss das ganze Orchester nicht nur musikalisch, sondern auch optisch auf hohem professionellen Niveau sein.
Gibt es Berührungsängste seitens des Publikums mit der Uniform?
Zu uns kommen vor allem Besucher ab 45 Jahren aufwärts. Das ist die Crux bei fast allen deutschen Kulturorchestern. Das Publikum stirbt uns weg. Ich möchte natürlich volle Säle mit Besuchern aus allen Altersgruppen. Deshalb muss sich das Publikum unbedingt verjüngen.
Und wie wollen Sie das erreichen?
Ich will die Angst vor der Uniform nehmen und der Annahme begegnen, dass es bei uns nur Altbackenes zu hören gibt. Dazu dienen auch die Schülerkonzerte, mit denen wir übers Land ziehen.
Wird durch die Polizeireform an den Festen Ihres Orchesters gerüttelt?
Nein, an uns wird festgehalten, auch aufgrund unserer Präventionsarbeit.
Es gibt keine Stellenstreichungen in Ihrem 45-köpfigen Klangkörper?
Wir sind in der Diskussion. Das Land weiß aber um unsere Qualitäten und unser Renommee. Gemeinsames Ziel ist die Sicherung als sinfonisches Blasorchester.
Was ist eigentlich Polizeimusik?
Auf jeden Fall nicht nur Märsche. Alles, was es an Musikformen gibt, wird von uns gespielt. Wir werden schließlich von allen Steuerzahlern Brandenburgs bezahlt, sind also auch allen Zielgruppen und Regionen verpflichtet. Deshalb reisen wir mit unseren jährlich 200 Konzerten bis in die entlegensten Ecken des Landes, wo sonst kaum Kultur hinkommt. Und erleben dabei rührende Momente.
Zum Beispiel?
Wir waren gerade in Doberlug-Kirchhain. Dort saßen Leute mit Tränen in den Augen, als wir „Turandot“ spielten.
Die Oper von Puccini ist auch in dem Programm „Märchen und Magie“ am Sonntag während Ihres Konzerts im Nikolaisaal zu hören, neben „Frau Luna“ oder Abba. Gilt Ihre Vorliebe vor allem der Unterhaltung?
Ich habe ein Faible für die unterhaltende Musik im durchaus ernsthaften Sinne. Als Posaunist bin ich in der Oper groß geworden, habe über die Jahre aber gemerkt, dass mir Filmmusik, Jazz oder Musical mehr liegen. So muss ich mich für den vorherrschenden Publikumsgeschmack nicht verbiegen. Wir spielen natürlich entsprechend des Publikums auch Märsche, das gehört zur Tradition.
Gibt es auch Frauen in Ihrem Orchester?
Ja, zwei. Da stimmt die Quote noch lange nicht. Aber vor 20 Jahren war es nicht so üblich, dass Frauen beispielsweise Blechblasinstrumente spielten. Wenn wir in die Lage versetzt werden, neu einzustellen, werde ich sicher auch hier auf Ausgewogenheit achten. Entscheidend ist aber das überzeugende Probespiel.
Sie sind erst 31 Jahre. Hatten Sie da nicht auch Angst, einen so renommierten Klangkörper zu übernehmen?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe dafür gebrannt, eine solche Stelle zu bekommen, auch wenn ich der jüngste Chefdirigent von Berufsblasorchestern in Deutschland bin. Da wird natürlich jetzt genau hingeguckt in der Szene, wie ich mich mit einem so großen Orchester schlage.
Welche Verantwortung spüren sie besonders?
Dass Entscheidungen, die ich jetzt treffe, ganz andere Auswirkungen haben. Wenn man freischaffend eingeladen wird und das Programm, das man zusammenstellt, oder man selbst nicht so ankommt, wird man das nächste Mal vielleicht nicht mehr gebucht. Mit dem Polizeiorchester hat ein nichtbesuchtes Konzert ganz andere Auswirkungen. Da steht immer die Frage nach der Berechtigung, gerade in der jetzigen Zeit. Zudem habe ich eine Fürsorgepflicht für jeden Musiker, der ja von dem Orchester lebt.
Sie müssen sicher auch menschliche Reife mitbringen, zumal Dirigenten oft von ihren Musikern gehasst werden.
Bislang habe ich nicht den Eindruck, dass sie mich hassen. Zum Teil arbeite ich mit Musikern, die schon im Orchester saßen, da war ich noch gar nicht geboren, mitunter spielten sie auch in einem anderen politischen System. Man muss jeden ernst nehmen und genau zuhören.
Aber einer muss ja den Takt angeben.
Am Schluss entscheidet der Dirigent. Manchmal gegen Widerstände. Das muss man aushalten und nicht nach drei Tagen eine Kehrtwende machen. Ich wollte als Musiker auch eine solide Führung haben.
Welchen Stempel wollen Sie dem Polizeiorchester aufdrücken?
Darüber kann ich erst eine präzise Aussage treffen, wenn ich viele Gegenden bereist habe und weiß, wo der Schuh drückt. Man kann mit einem Blasorchester unheimlich viele Stile nachbilden. Dennoch sollte ein Programm einen roten Faden haben. Die Leute verzeihen einem auch Experimente und Stücke, die sie nicht kennen, wenn man sie einbettet in Musik, die sie kennen. Wir werden künftig immer Einführungen in unsere Konzerte geben. Aber ich denke, drei Viertel der Brandenburger wissen gar nicht, dass es ein Polizeiorchester gibt. Deshalb müssen wir uns stärker verorten. So wollen wir mit der Chorgemeinschaft „Berliner LIEDERTafel“ kooperieren und auch mit Laienmusikern aller Altersklassen Programme vorbereiten.
Warum arbeiten Sie mit den Berlinern zusammen?
Wir bedienen ja auch Berlin mit unseren Konzerten, seitdem dort das Polizeiorchester abgeschafft wurde.
Werden Sie auch von Berlin mit bezahlt?
Nein, nur unsere siebenköpfige Combo und drei Musiker des Orchesters. Sicher zu gegebener Zeit auch mal ein interessanter Diskussionspunkt.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
Das Landespolizeiorchester spielt am kommenden Sonntag, dem 25. September, um 17 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm Staab-Straße 10.
Christian Köhler, 31, bei Darmstadt aufgewachsen, studierte Musik, Hauptfach Posaune. Er war beim Heeresmusikkorps
Koblenz 1. Posaunist und studierte Dirigieren in Maastrich.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: