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Kultur: Massive Schrumpfung nur in Europa Diskussion über Leerstand und Migration

Seit zweieinhalb Jahren reist der Regisseur Holger Lauinger ununterbrochen mit seinem Film „Nicht-mehr, noch-nicht“ durch das Land. Sein als low-budget-Produktion mit 2000 Euro Zuschuss realisierter Film über das Schrumpfen der Städte und die leeren Häuser, ja ganze Straßenzüge und Wohnkomplexe, die meist im Osten, aber durchaus auch im Westen zu finden sind, rüttelt die Menschen auf.

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Seit zweieinhalb Jahren reist der Regisseur Holger Lauinger ununterbrochen mit seinem Film „Nicht-mehr, noch-nicht“ durch das Land. Sein als low-budget-Produktion mit 2000 Euro Zuschuss realisierter Film über das Schrumpfen der Städte und die leeren Häuser, ja ganze Straßenzüge und Wohnkomplexe, die meist im Osten, aber durchaus auch im Westen zu finden sind, rüttelt die Menschen auf. So auch das Publikum im Filmmuseum, in dem der Film im Rahmen der von Kulturland Brandenburg angeregten und geförderten Reihe „Architektur im Film“ gezeigt wurde, obwohl Potsdam als eine der wenigen Städte bislang vom Problem verschont geblieben ist. Zum ersten Mal seit der Pest im Mittelalter sinken nämlich die Bevölkerungszahlen so beträchtlich, dass Politiker, Architekten und Städteplaner gezwungen sind umzudenken. Statt immer mehr Wachstum anzustreben, und dabei Vorstadtsiedlungen mit Einfamilienhäusern auf die grünen Wiesen zu stellen, müssen sie nun plötzlich lernen, überflüssig gewordene Bausubstanz zu entfernen. Eine epochale Herausforderung, ein regelrechter Paradigmenwechsel. Wie geht die Gesellschaft damit um? Eine von Michael Erbach, Chefredakteur der PNN, geleitete Expertenrunde diskutierte im Anschluss an den Film.

Einigkeit herrschte auf dem Podium, dass die Antwort auf die katastrophale Entwicklung besonders in ländlichen Gebieten in der Konzentration und Verdichtung der Innenstädte liegt. Der Siedlungswohnungsbau als Modell sei definitiv gescheitert. Ludger Brands, Architekturprofessor der Fachhochschule, malte ein besonders düsteres Bild, indem er offen aussprach, dass man sich dem gegenüber von ganzen Städten und Regionen im ländlichen Raum in Zukunft wohl trennen werden müsse.

Der designierte Minister für Infrastruktur und Raumordnung, Reinhard Dellmann, sah die Politik in Brandenburg auf gutem Weg. Zwar habe man Anfang der 90er Jahre z.B. in Schwedt sogar mit öffentlichen Mitteln Neubauten errichtet, nunmehr jedoch sehe die neue Leitlinie, nach der „Starken gestärkt“ werden sollen auch vor, sogenannte Wachstumskerne, also die Innenstadträume, zu verdichten. Es müsste sogar dafür auch in Kauf genommen werden, wenn dafür erst vor kurzem renovierte Mehrgeschosser am Stadtrand aufgegeben werden müssten.

Im Hinblick auf die geringer werdenden öffentlichen Städtebaumittel und Potsdams verschiedene Großbauprojekte – das Stadtschloss wurde erwähnt – mahnte er „Solidarität“ gegenüber den schwächeren Regionen an. „Was ist hier notwendig und in welcher zeitlichen Abfolge?“, fragte der zukünftige Minister.

Der Architekturkritiker Wolfgang Kil blieb skeptisch. Nicht nur die Bevölkerungszahl ändere sich, auch unsere Lebens- und Arbeitswelt. Wer sage, dass man seine – nicht immer freiwillig zur Verfügung stehende – Freizeit in der Stadt verleben möchte? Mit dem Blick auf den Minister appellierte er: „Achten Sie beim Umbau darauf, dass möglichst wenig Leute auf der Strecke bleiben.“ Kil sprach sich, wie Lauinger im Film an einigen Optimismus versprühenden Beispielen zeigte, dafür aus, die vielen Brachflächen kreativ zwischen zu nutzen. So wie die Schiffbauergasse und das Waschhaus, wie Erbach einwarf, die auch zunächst von Künstlern besetzt wurde und nun etabliert sei.

Regisseur Lauinger wies darauf hin, dass die von ihm porträtierten Beispiele alle noch mit verhältnismäßig viel Geld realisiert wurden. Unflexible Bürgermeister und ein starres und kompliziertes Baurecht, dazu ein auf Eigentum fixiertes Immobilienrecht, machte er dafür verantwortlich, warum auch die vielen kleineren Ideen der Bürger für die vielen Brachflächen häufig nicht umgesetzt werden könnten.

Die von ihm vorgeschlagene Öffnung der Diskussion für das Publikum brachte durchaus neue Aspekte hervor. Zum einen wurde die Aussage des zukünftigen Ministers hinterfragt, er hätte in den vielen Jahren seiner politischen Tätigkeit noch nie erlebt, dass bei ihm ein Wissenschaftler oder Stadtplaner vorgesprochen habe, um ihm Problemlösungen aufzuweisen. Zum anderen zeigte die Wortmeldung, in der darauf hingewiesen wurde, dass Europa die einzige Region der Welt ist, in der es einen massiven Schrumpfungsprozess gibt, dass auch eine globale Dimension der Frage existiert. Bezöge man die Migrationspolitik in die kreative Debatte mit ein, könnten plötzlich aus schrumpfenden wieder blühende Städte werden.

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