Kultur: Maxie Wander – ein Leben an der Grenze
Der Brief als „feine Nachahmung des guten Gespräches“ war nach G. F.
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Der Brief als „feine Nachahmung des guten Gespräches“ war nach G. F. Gellert den „Weibern gemäß“. Der Briefroman als „Trojanisches Pferd“ ermöglichte es Sophie la Roche als erste Frau im 18. Jahrhundert in den Literaturbetrieb zu gelangen. Viele Jahre versuchte sich Maxie Wander vergeblich an einem Briefroman. Was ihr zunächst nicht gelingen sollte.
Als Maxie Wander 1977 ihre Tonbandprotokolle „Guten Morgen, Du Schöne“ herausgab, konnte sie die große Resonanz kaum noch zur Kenntnis nehmen. Im November 1977 starb sie in Potsdam. Zwei Jahre später gab ihr Ehemann, Fred Wander, eine Auswahl ihrer Briefe und Tagebucheintragungen, ihren eigentlichen Roman, heraus, dem er die Worte Erich Fromms voransetzte, mit denen der geplante Briefroman einmal beginnen sollte: „Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, dass die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind. Zu leben bedeutet, jede Minute geboren zu werden. Der Tod tritt ein, wenn die Geburt eintritt“.
Mit diesen Worten begann auch die szenische Lesung in der Villa Kellermann „Maxie Wander – ein Leben an der Grenze“. Die Schauspielerinnen Jana Kapust und Anja Sisenop, beide Absolventinnen der Berliner Schauspielschule Langhake, sowie der Pianist Christian Ernst setzten ganz auf die Wirkung der Worte und Töne. Verzichteten auf jegliche Requisiten. Nur ein Piano, zwei Notenständer, drei schwarz lackierte Stühle: „Ich bin zwei Menschen: nachts verzweifelt, tags wenn die Sonne scheint, glücklich, glücklich“, schrieb Maxie Wander ein Jahr vor ihrem Tod ins Tagebuch. Zwei Seiten ihres Seins verkörperten sehr überzeugend die beiden Potsdamer Schauspielerinnen. Während die brünette, fraulich wirkende Jana Kapust scharf akzentuierend mit starken Gesten gegen dogmatische Funktionäre, Konsumentenmentalitäten, opportune Spießer, doppelzüngige Freunde, Ehemann, Kinder und immer wieder gegen sich selbst vehement zu Felde zog, verstand es die mädchenhafte Anja Sisenop, die zarten, trauernden und schmeichelnden Töne Maxie Wanders mit sparsamer Gestik zum Klingen zu bringen: „Was ich Dir eigentlich sagen wollte? Wie doch irgendwo in uns die Grenzen zwischen Schmerz, Verzweiflung und Genießen ineinander fließen. Von tiefster Verlassenheit und Apathie falle ich fast ohne Übergang in euphorische Zustände. Alles Leben in mir ist in eine winzige Kammer meines Wesens gepresst, bis die Kammer ihre Wände sprengt, explodiert und sich ausbreitet“. Die freien Kompositionen von Christian Ernst begleiteten, verstärkten und unterstrichen die Stimmungen meisterhaft.
Als der vermutlich letzte Brief Maxie Wanders verlesen wurde, „große Schwäche, Schmerzen, Übelkeit – nichts wird besser, was soll ich mit dieser Krankheit machen? Viele Küsse“, wurden die Worte von den Schwingungen eines Wiegenliedes aufgenommen. Und weiter getragen. Glaubhaft vorgeführt wurde an diesem Abend Maxie Wanders Maxime: „Die Dinge haben ihr eigenes Leben, sie widersetzen sich brutal festgelegt zu werden, weil sie dann fertig und tot sind“. Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
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