Kultur: Meditative Zartheit und Bewusstheit
Zum Tod der Sopranistin Rosemarie Deichstetter
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„Hört euch doch mal diese Sopranistin an. Ich glaube, sie wird euch gefallen.“ So ungefähr machte die Leipziger Hochschullehrerin und Opernregisseurin Renate Oeser auf die Sängerin Rosemarie Wardeck aufmerksam. Peter Brähmig, Operndirektor am Hans Otto Theater, vertraute seiner Kollegin. Er lud die an der Musikhochschule Leipzig ihren Abschluss machende Sopranistin zum Vorsingen nach Potsdam ein. Und engagierte sie. Die Partie der Fiordiligi in der Mozart-Oper „Cosi fan tutte“ wurde im Herst 1972 ihre erste Aufgabe, die Inszenierung Brähmigs der Auftakt des vielgerühmten Potsdamer Mozart-Zyklus‘ im Schlosstheater im Neuen Palais.
Fiordiligi zum Auftakt einer sängerischen Laufbahn? Das ist nicht ohne Risiko. Doch die junge Sopranistin ging die Tücken der Partie mit Ernsthaftigkeit und Verve an. Und bewältigte sie Respekt gebietend an der Seite der erfahrenen Mezzosopranistin Gisela Pohl, die die Dorabella sang. Der Aufführung war ein großer Erfolg beschieden. Auch für sie ganz persönlich. Empfindsame Wärme, Hingabe und Glanz vermochte sie der vielschichtigen Partie, die in der Opera seria sowie in der Buffoironie beheimatet sind, zu geben.
Der Mozart-Zyklus war nunmehr ohne sie, die in einem musikalischen Elternhaus in Roßleben an der Unstrut aufwuchs, kaum mehr zu denken. Die Susanna und die Gräfin Almaviva in „Figaro“, die Pamina in „Die Zauberflöte“ wurden von der Sängerin musikalisch und szenisch mit weiten Gefühlsskalen bedacht.
Doch nicht nur Mozart sang sie am Hans Otto Theater. Man vertraute der Sopranistin, die inzwischen ihren Kollegen, den Korrepetitor Christian Deichstetter heiratete, eine Reihe unterschiedlicher Partien in Opern und Operetten an. Nicht alle lagen ihr gleichermaßen. Doch sie wusste, dass ein Stadttheater-Repertoire vielfältige Zuschauerwünsche erfüllen muss. Und so studierte Rosemarie Deichstetter alle Rollen mit Ernst und Genauigkeit ein und wusste zu überzeugen, als Norina in Donizettis „Don Pasquale“, in Flotows Martha, als Frau Fluth in Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ oder als Agathe in Webers „Freischütz“.
Gewichtige und bleibende Eindrücke hinterließ die im Privaten eher zurückhaltende Sopranistin mit ihren Interpretationen der Mimi in Puccinis „La Bohéme“ und der Sophie Scholl in Udo Zimmermanns „Weiße Rose“ (Regisseurin beider Inszenierungen: Waltraud Prinz). Die Mimi, die leiseste, fragilste aller Puccini’schen Frauenfiguren, sang und spielte sie mit meditativer Zartheit und Bewusstheit. Die bewegend-intensive Darstellung der Studentin Sophie Scholl, die gemeinsam mit ihrem Bruder Hans als aktive Oppositionelle gegen das NS-Regime hingerichtet wurde, gehörte zu den Sternstunden des Potsdamer Musiktheaters.
Von der Auflösung des Opernensembles Mitte der neunziger Jahre wurde die Sopranistin nicht mehr direkt betroffen. Aus Krankheitsgründen gab Rosemarie Deichstetter den geliebten Sängerberuf auf, der ihr neben der Oper manche Aufgaben im Oratorienfach bescherte. Zur Musica sacra pflegte sie stets eine Herzensbeziehung.
Am 1. Januar 1994 wechselte sie zum Kinder- und Jugendtheater des HOT. Als Regieassistentin und Inspizientin nahm sie ihre Aufgabe sehr genau. Es machte ihr Freude, auch in diesem Bereich des Theaters tätig zu sein und der Kunst zu dienen. Mit Ende der Spielzeit 2007/08 ging sie vorzeitig in den Ruhestand. Die Krebserkrankung wollte Macht über sie gewinnen. Ihr christlicher Glaube gab ihr aber immer wieder Kraft, das Leben zu bestehen. Doch am 30. Januar starb Rosemarie Deichstetter im Alter von 61 Jahren. Klaus Büstrin
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