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Annäherung. U-Gin Boateng während der Proben mit Johanna Guffens als Desdemona und Pat Patermann Pertz als Jago.

© Andreas Klaer

Kultur: Mehr als der Mohr

Der Tänzer U-Gin Boateng weist sich in seinen „Othello-Skizzen“ erstmals auch als Choreograf aus

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Staunend betrachtet er seine Hände. Als wäre es das erste Mal. Leise lächelnd streicht er über die schwarze Haut an den Außenflächen und über die hellere im Handinneren. „Ich bin Schwarz“, sagt er laut in die Stille hinein. „Ich bin schwarz wie die Nacht. Ich bin schwarz wie die Trauer. Ich bin schwarz wie der Tod.“ Gebetsmühlenartig spricht er seiner Hautfarbe immer neue Attribute zu. Dann betritt ein zweiter Mann die Probebühne und kämpft wie ein weißer Schatten mit dem schwarzen Tänzer um Nähe: als Impulsgeber, Korrektiv – als Freund. Lust und Last sprechen aus diesem Pas de deux. „Wann fängst Du eigentlich an, an dich selbst zu glauben?“, fragt am Ende dieses kraftvoll-sinnlichen Gerangels der weiße Tänzer.

Schon diese kurze Szene zieht tief in die Geschichte hinein und lässt ahnen, dass da jemand sehr viel von sich selbst preisgibt. Der 26-jährige U-Gin Boateng nennt seine halbstündige Aufführung, mit der er sich am morgigen Samstag im „nachtboulevard“ des Hans Otto Theaters nicht nur als Tänzer, sondern erstmals auch als Choreograf und Texter vorstellt, „Othello-Skizzen“. Sie sind wie ein Prolog, eine Vorgeschichte zu der bekannten Shakespeare-Tragödie – von der Politik entkleidet und auf die drei Figuren Othello, Jago und Desdemona heruntergebrochen. Und gerade in dieser Konzentration schält sich die Frage nach Liebe, Eifersucht, Neid, Rache, Gewalt und Erfolg um so deutlicher heraus. „Dieser Othello begleitet mich schon immer. Es ist das einzige klassische Stück, in dem ein schwarzer Mann die Hauptfigur ist. Es betrifft mich.“ Denn so wie Othello der einzige Schwarze in Venedig war, so fühlt sich U-Gin Boateng in Deutschland oft auch als der Einzige. „Was bringt es mit sich, wenn man sich ständig beobachtet fühlt? Man will mehr sein als der Mohr und kämpft um Anerkennung.“ Othello steigt zum Feldherrn auf und erobert die schöne weiße Desdemona. U-Gin Boateng erobert die Bühne. Kein leichtes Spiel. Immer wieder stößt er an Grenzen, fällt zu Boden, rafft sich wieder auf.

Allein brachte er sich Zuhause auf dem Dachboden in seiner Geburtsstadt Düsseldorf die ersten Tänze bei, nahm an Battles teil: gewann, verlor, gewann. Dann ging er nach Berlin, seiner neuen Heimat, entfloh der provinziellen Enge. Er arbeitete mit dem Choreografen Christoph Winkler zusammen und dann immer wieder mit Oxymoron. Die Leiterin dieser Potsdamer Company, Anja Kozik, gab auch den Anstoß, nicht nur auf Angebote zu warten, sondern selbst loszulegen, etwas Eigenes zu kreieren. „Anja kriegt das so leicht hin, wenn sie Stücke einstudiert – trotz der Chaoten, mit denen sie zusammenarbeitet“, sagt er lachend in der Probenpause und man ahnt, dass sich U-Gin Boateng wohl selbst mit zu diesen Chaoten zählt. „Ich habe es mir jedenfalls nicht so aufwendig vorgestellt, auf der Bühne zu stehen und dazu auch noch Regie zu führen. Man vergisst sich selbst, wenn man die Parts der anderen sauber hinkriegen will.“

Doch er steht nicht allein da. Anja Kozik gibt dem „Gipfelstürmer“, wie sie ihren Schützling anerkennend nennt, Rückenstärkung. Und auch vom Hans Otto Theater kam Unterstützung. Der Dramaturg Helge Hübner schaute auf den Text, den U-Gin Boateng schrieb und der Schauspieler René Schwittay gab Tipps, wie man diese Texte am Natürlichsten spricht. Ganz offen erzählt der junge Mann von seiner Riesenangst, bevor er seine „Skizzen“ das erste Mal vor den anderen ausbreitete. „Nach dem ganzen Feedback, das ich dann bekam, habe ich in einer Nacht einen Riesensprung gemacht.“

Nicht nur von sich selbst verlangt er viel, auch von seinem Widersacher Jago, getanzt von Pat Patermann Pertz, den er bereits von vielen gemeinsamen Auftritten kennt. Und von Johanna Guffens, seiner Desdemona, die er nach einem langen Casting-Prozedere fand. Ewig habe er über die Besetzung nachgedacht, verglichen und sich schließlich getraut. „Ich glaube, es war eine gute Entscheidung.“ Wenn man sieht, wie beide voller Vorsicht, Zärtlichkeit und Hingabe über die Bühne schweben, kann man ihm nur zustimmen. U-Gin Boateng will in seinem szenischen Diskurs nicht nur zeigen, wie es sich für einen Schwarzen anfühlt, allein unter Weißen zu sein, sondern auch, wie es einer Weißen geht, die mit einem Schwarzen zusammen ist.

Der junge aufgeschlossene Mann, der so gerne lacht, denkt oft an seine Schulzeit zurück, als er mitbekam, dass er anders ist und Interesse, Abwehr und Neugierde spürte. Wenn er heute von einem seiner Schüler auf Tanzworkshops gefragt wird, ob er mal seine Haare anfassen dürfe, findet er das mittlerweile lustig. „In der Schule hat mich so etwas genervt. Auch Fragen, ob ich denn wirklich am ganzen Körper schwarz bin, fand ich anmaßend.“ Um so mehr genoss er es, wenn er am Wochenende auf Partys ging und mitbekam, wie ihn andere beim Tanzen staunend beobachteten. „Schließlich sagte mein Cousin: ,Hör auf mit dem Fußball. Tanze!’“ Und er fing an, hart zu trainieren. „Oft war ich am Boden zerstört und den Tränen nahe, wenn der Erfolg ausblieb. Aber ich wollte es, kämpfte weiter.“ Anerkennung und Respekt zu erhalten, ist bis heute sein Motor. „Mein Vater hat sich anfangs gegen das Tanzen gestellt. Schließlich verließen er und meine Stiefmutter ihre Heimat Ghana nur, um uns acht Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Und so wollte ich nach dem Abitur auch Medizin studieren, um meinem Eltern etwas zurückzugeben.“ Irgendwann sah der hart als Taxifahrer arbeitende Vater seinen Drittältesten dann doch auf der Bühne. „Danach sagte er zu mir die goldenen Worte: ,Ich bin stolz auf Dich, mein Sohn’. Heute steht er hinter mir, und das ist für mich das Wichtigste.“ Bei U-Gin Boateng klingt das ganz natürlich.

Dass er jetzt ohne Budget an seinem ersten eigenen Stück arbeiten kann, verdankt U-Gin Boateng auch Oxymoron, die ihn mit Räumen und Werbung unterstützen. Oxymoron wird auch den Antrag auf Projektmittel stellen, dass aus den „Skizzen“ vielleicht irgendwann ein stattlicher „Othello“ heranwächst, dem Prolog das Drama folgt. „Junge Tänzer sollen ihre eigenen Dinge kreieren können und wir wollen sie als Produzent mit in die Welt schubsen“, sagt Anja Kozik.

U-Gin Boateng will auf der Bühne erzählen. Vor allem über sich selbst.

„Othello-Skizzen“, Samstag 22 Uhr, Reithalle im „nachtboulevard late show“

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