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Kultur: Mehr als eine Zweckgemeinschaft

Regisseur Leopold Grün sprach im Thalia über seinen Film „Am Ende der Milchstraße“

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„In dieser Gesellschaft gibt es keinen Spielraum mehr“, sagt Harry. „Wenn du einmal unten angekommen bist, dann hast du dazubleiben, das ist gesellschaftlich gewollt.“ Der Mann mit dem Zopf hat sich sein Leben im Dorf in einem Wohnmobil eingerichtet, er ist ein Zugezogener. Max, der kräftige Bauer, der sich mit beiden Beinen fest in die Landschaft hineinstemmt, war schon immer hier, seine Freundin Cordula wohnt halb bei ihm auf dem Lande, halb in ihrer Wohnung in der Stadt. Und Gabi, Witwe und fünffache Mutter, lebt auf den Wiesen Mecklenburg-Vorpommerns ihre Liebe zu Pferden aus.

Nur 15 Kilometer liegt Wischershausen von der Stadt Neubrandenburg entfernt. Die Zeit scheint stehen geblieben, das Geld schlägt einen Bogen um den 50 Einwohner starken Ort. Ein Dorf „Am Ende der Milchstraße“, wie Leopold Grün und Dirk Uhlig ihren Dokumentarfilm genannt haben, der am Dienstagabend als „Aktuelles Potsdamer Filmgespräch“ im gut gefüllten Thalia Vorpremiere hatte. Was den verfallenden Ort in einer nicht industrialisierten Region für die Filmemacher zu einem besonderen machte, war die funktionierende Dorfgemeinschaft – obschon die Bewohner überwiegend am Existenzminimum leben: Gabi, die zufrieden ist mit dem, was sie hat, schneidet ganz selbstverständlich dem Opa die Haare. Harry repariert im Winter die Technik von Max, und Max füttert für Harry ein Schwein. „Es ist hier immer noch so, wie es eigentlich sein sollte auf‘ m Dorf,“ sagt Harry dazu. „Dass man mit wenig finanziellem Aufwand eine Menge erreichen kann gemeinsam. Jeder kann etwas, und daraus ergibt sich die Dorfgemeinschaft.“ Doch trotz dieser Gemeinschaft schwebt ständig Gefahr über allem, die die Bilder der Idylle am Seeufer oder im Schnee tobender Ponys nicht aufheben können. Das signalisieren nicht nur die allzu häufig kreisenden Schnapsflaschen, auch die Geschichte von Gabis am Alkohol gestorbenen Mann spricht davon.

Im Gespräch erzählte Leopold Grün, dass das Interesse der beiden Regisseure durch eine befreundete, mittlerweile ganz nach Wischershausen gezogene Ethnologin geweckt worden sei. „Die hat viel über die Form der Arbeit geschrieben, der die Leute dort nachgehen, nämlich größtenteils Eigenarbeit. Das bedeutet, dass man etwas für jemanden macht und der andere auch etwas dafür anbietet. Man tauscht.“ Auch die in ihrer Studie „Pragmatismus und Visionen“ sehr lebendig aufscheinenden Biografien und die sinnlich beschriebene Landschaft weckten die Neugier der Filmemacher. So wie die Menschen wollten sie die Landschaft erzählen, auch der Ambivalenz eines Ortes Ausdruck geben, dem postkartentaugliche Sonnenuntergänge über dem morbiden Kuhstall für den Moment eine Romantik verleiht, die ihm eigentlich nicht innewohnt.

Grün, der wie sein abwesender Kollege Dirk Uhlig neben dem Filmemachen noch einen zweiten Beruf ausübt, bedauerte, dass sie bestimmte Tauschformen leider nicht so vollständig darstellen konnten: Sie gingen eben nicht immer mit rechten Dingen zu, und natürlich wollten die Dorfbewohner nicht, dass das gezeigt werde.

Wie sehr „Am Ende der Milchstraße“ die Gemüter zu bewegen vermag, konnte Grün an den vielen Fragen und Statements ablesen, die aus dem Publikum kamen: Sie reichten von dem Vorschlag, doch als Nächstes einen Film über Städter zu drehen, über Fragen nach Reaktionen der Protagonisten und der Zuschauer auf den verschiedenen Festivals auf den Film bis hin zum Kompliment für den Schnitt und die eigens dafür komponierte Musik. Zur Aufführung in der Volksbühne, so erzählt Leopold Grün noch, wollen die Protagonisten übrigens nach Berlin kommen: natürlich zusammen mit dem Sammeltaxi. Dort ist dann auch der Schriftsteller Thomas Brussig zu finden. Er ist nicht nur Filmpate, sondern schreibt seine Bücher auch nur ein paar Steinwürfe entfernt von Wischershausen. Gabrielle Zellmann

Gabrielle Zellmann

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