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Kultur: Mehr als nur handwerklich einwandfreie Porträt-, Blumen- und Plüschtiermalerei

Zu „Thesenverbrämt“ vom 6. April und „Stadt ohne Mitte“ vom 27.

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Zu „Thesenverbrämt“ vom 6. April und „Stadt ohne Mitte“ vom 27. März

Ein Glück, dass Friederike Sehmsdorf mit ihrer – freundlich ausgedrückt – konservativen Auffassung von Kunst in Potsdam nicht tonangebend ist. Und gut, dass die Kulturförderung und Ausstellungspraxis in Deutschland nicht nur darauf schielt, welcher „Wurm dem Fisch schmeckt“ – sonst gliche unsere Kulturlandschaft wohl dem Musikantenstadl –, sondern Projekte von Künstlern und Kuratoren fördert und zeigt, die Experimente wagen, international vernetzt sind und sich bewusst entschieden haben, Kunst nicht unter dem maßgeblichen Blickwinkel von Absatzmöglichkeiten zu beurteilen. Sie trauen den Ausstellungsbesuchern die Konfrontation mit Positionen zu, in denen Kunst mehr sein kann als ein Abbild von Dingen oder Personen – nämlich auch Aktion, Abstraktion oder Konzept.

Wie überall können auch die Potsdamer Kunstvereine diesen Anspruch nur erfüllen, wenn sie um die immer zu knappen öffentlichen Mittel kämpfen. Jede Person und Institution, die anspruchsvolle Kulturarbeit macht, kann davon ein Oratorium singen: Ausstellungshäuser wie Theater, Konzertsäle, Literaturveranstalter und freie Projekte. Es ist mir ein Rätsel, wie eine Galeristin den finanziell äußerst sparsam ausgestatteten Kunstvereinen vorwerfen kann, mehr öffentliche Gelder einzufordern. Die Mittel für Gegenwartskunst auf das Potsdam Museum mit seinem lokalen Fokus – so wichtig dieser unbestritten ist – zu konzentrieren, kann keine Lösung sein.

Internationale zeitgenössische Kunstpositionen sollen in Potsdam draußen bleiben? Nicht im Ernst. In einer Stadt, die auf ihre weltweite Ausstrahlung stolz ist und sich im Glanz internationaler Besucher, Wissenschaftler und Filmstars sonnt. Sollte diese sehens- und lebenswerte Stadt nicht mehr zu bieten haben als ihre grandiosen Schlösser, blühende Gärten und regionale Kunst und Küche? Es wäre fahrlässig und ein Ausdruck großer Provinzialität, sich darauf zu verlassen, dass es in dieser Beziehung die Hauptstadt schon richten wird („Geht doch nach Berlin!“) – und es wäre dumm, die in Berlin lebende internationale Künstlerschaft in Potsdam zu ignorieren. Weimar und Bremen, Dresden und München, Chemnitz und Köln kommen auch nicht ohne Künstler aus den großen Kunstzentren aus. Kunst lebt vor allem von Austausch.

Als Kunsthistorikerin, die seit 2005 in Potsdam lebt, bin ich froh, dass es wenigstens ein paar Orte gibt, die über den hiesigen Porzellantellerrand hinausschauen und erahnen lassen, dass es in der Kunst auch eine Gegenwart gibt, die über handwerklich einwandfreie Porträt-, Blumen- und Plüschtiermalerei hinausgeht. Der Brandenburgische Kunstverein, dessen Mitglied ich gerne bin, präsentiert auf der Freundschaftsinsel ein ambitioniertes, zum Ausstellungsort passendes und auf Vermittlung angelegtes Programm mit Künstlerbegegnungen, Workshops, Diskussionen und Konzerten. Seit 2011 hat der Verein mit dem Pavillon auf der Freundschaftsinsel die Chance, mehr als die Eingeweihten des Kunstbetriebs anzusprechen. Nun sind auch zufällige Besucher zur Auseinandersetzung mit künstlerischen Positionen eingeladen und das Programm kann viel besser nach außen wirken. So entwickeln sich Gespräche, die für Besucher, Veranstalter und Künstler gleichermaßen inspirierend sein können.

Natürlich ist die Anzahl der Mitglieder der Potsdamer Kunstvereine noch ausbaufähig. Wie Frau Sehmsdorf richtig schreibt, haben die deutschen Kunstvereine insgesamt 120 000 Mitglieder. Das macht bei den 300 existierenden Vereinen im Schnitt 400 Personen. Wenn man das jugendliche Alter der Potsdamer Institutionen bedenkt, sind 300 Mitglieder ein guter Anfang, zumal die alteingesessenen Vereine über Generationen wachsen und Mitstreiter an sich binden konnten. Im Übrigen finanzieren auch sie sich keinesfalls allein von privatem Geld, sondern sind wie die Potsdamer Institutionen auch auf öffentliche Mittel angewiesen. So erhält – um nur ein Beispiel zu nennen – der alteingesessene Hamburger Kunstverein jährlich etwa eine halbe Million Euro von der Stadt.

Bürgerliches Engagement entsteht nicht von jetzt auf gleich und kann in Deutschland die öffentliche Hand sicher nie ganz ersetzen – die Tradition des „Zurückgebens an die Gesellschaft“ gibt es hier nicht im amerikanischen Maße. Trotzdem ist es wichtig, die Bürger stärker in Kulturarbeit einzubeziehen und ihnen mehr Möglichkeiten der Mitwirkung anzubieten. Das Thesenpapier von Gerrit Gohlke und Wilhelm Neufeldt fordert daher sehr zu Recht eine Stärkung der Institutionen, die ein solches Engagement erst möglich macht. Aber auch die Schulen dieser Stadt sind gefragt und endlich aus ihrem Dornröschenschlaf wachzuküssen, denn dort wird Kunst zum Teil noch immer als das Gute, Schöne, Wahre vermittelt, oft unter völliger Ignoranz aktueller Positionen (so jedenfalls unsere Erfahrung). Gerade junge Menschen mehr in die Kulturarbeit einzubinden, wäre für die Potsdamer Kunstlandschaft fruchtbar.

Man sollte nicht vergessen: Was wir heute in Museen bewundern, ist die Avantgarde vergangener Zeiten. Wenn viele Potsdamer heute in den Hamburger Bahnhof pilgern, um dort Martin Kippenbergers Malerei zu erleben, können manche von ihnen sich erinnern, dass die erste große Kippenberger-Ausstellung in Potsdam vor fast 20 Jahren im Brandenburgische Kunstverein (BKV) zu sehen war. Als hoffentlich aufgeschlossene Gesellschaft haben wir den Künstlern, die über figurative Darstellungen hinausgingen, die risikobereit die Grenzen gesellschaftlicher Akzeptanz austesteten, gängige Gattungsfestlegungen ignorierten, provozierten, anklagten, zerstörten und ironisierten (Expressionismus, Dada, Surrealismus, Happening, Situationismus, Aktionskunst, Punk, Medienkunst etc. etc. etc.) unendlich viel zu verdanken. Hoffentlich können wir solche Positionen künftig öfter auch in Potsdam sehen – es täte der Stadt und ihren Bürgern gut.

Petra Stegmann, Kunsthistorikerin und Kuratorin

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