zum Hauptinhalt
Knistern und Flackern. Zwischen Sonnenglut und anderem Gestirn suchte die Wissenschaft am Freitag im Nikolaisaal die Nähe zur Kunst.

© Andreas Klaer

Von Gerold Paul: Mehr Licht!

Einmal Urknall und zurück: Ein galaktisches Konzert- und Wissenschaftsprojekt im Nikolaisaal

Stand:

Am Licht, wie es durch Newton und seine Nachfolger bestimmt und erklärt wurde, hängt tatsächlich alles, nicht nur Dunkel-Depression oder Urlaubssonne, sondern das gesamte Weltbild der Neuzeit. Das war eine der sicheren Erkenntnisse, die man am Freitag von der Veranstaltung zum „Jahr der Astronomie“ aus dem Nikolaisaal mitnehmen konnte. Vom Vorhof – hier wurde man mit „Erdknistern“ empfangen – bis hoch zur Dachterrasse, vom Saal über die Künstler-Garderoben bis zum Kosmischen Malkurs in der Galerie war das ausverkaufte Haus so sehr auf dieses Weltbild eingestellt, wie andre einst „auf Liebe“.

Veranstalter des „Galaktischen Konzert- und Wissenschaftsprojektes“ waren die Potsdamer Institute für Astrophysik und Gravitationsphysik, die hiesige Universität sowie kunstvoll beleuchtetes Personal einer Berliner Modeschule als Wegweiser zu dieser und jener Veranstaltung. Nun wurde es auf der Dachterrasse mit dem Sternengucken nichts, es nieselte, und man sah höchstens die Weihnachtssterne in den Wohnungen der Nachbargebäude. Die Vorträge im Saal, aber auch oben im Studiosaal, waren proppevoll.

Hier wurde aus teils internationalem Munde Wissenschafts-Wissen, aber auch Gefühltes und Vermutetes populär gemacht: Thorsten A. Carroll etwa, bejeanst und basecapebemützt, schilderte voller Leidenschaft seine Suche nach extrasolaren Planeten, wozu es jener Fraunhoferschen Linien bedarf, welche etliche Physiker ganz anders erklären. Ein Beispiel dafür, wie sehr man auf „das richtige Licht“ angewiesen ist, auch die „Rotverschiebung“ wird ja, außer im Nikolaisaal, längst kontrovers diskutiert wie überhaupt jener Urknall, dem dieser lange Abend geweiht wurde.

Vielleicht war der Einführungsvortrag des Wissenschaftlers Matthias Steinmetz im Saal für diese Situation exemplarisch: Weil man mit dem Galileischen Fernrohr angeblich per Lichtgeschwindigkeit in die Vergangenheit schauen kann, nannte er es „kosmische Zeitmaschine“, obwohl das Ding gar keine Arbeit leistet. Mit seinen Nachfolgern, teils Satellit, teils Teleskop, und allem Wissen, welches man als Ausstellung ins Foyer beamte, lässt sich nun zwar bis zum fernen Andromeda-Nebel sehen, dafür bekam man am Freitagabend allerdings keine Telefonleitung zum Mount Graham/Arizona geschaltet, wo derzeit das größte und modernste Teleskop der Welt gebaut wird, an dem Potsdamer Forschung maßgeblich beteiligt ist.

Sascha Skorupka, mit großen Entertainer-Qualitäten begabt, experimentierte dann auf offener Bühne mit Feuer und mit Blitz, der ja gleichsam von oben herab auf die Menschheit kam. Obwohl auf Erden ständig etwas brennt, sprach der von der erfolgreichen Beherrschung des Feuers. Zuletzt überraschte er das Publikum mit etwas knarrigen Weihnachtsmelodien, von singend-blitzenden Trafos geliefert. Der angloamerikanische Forscher Bernard F. Schutz versuchte in seinem Beitrag, Sphärenmusik „tatsächlich hörbar“ zu machen, was er den Griechen des Altertums damit leider absprach. Installationen zur Numerischen Simulation und Pulsar-Effekten komplettierten diesen Teil von „Einmal Urknall und zurück“.

Nee, zurück lieber nicht! Leider erweckte die Wissenschaft selbst immer wieder selbst den Eindruck, als sei an ihrem Lehrstand heute gar nicht zu rütteln. Schade. Bevor das Percusemble Berlin im Saal per Quadrophonie und durch Bongos, Marimbas, etlichen Pauken sowie mit menschlichen Stimmen anhob, „Raumklänge und Planetenbilder“ in modernen Kompositionen erlebbar zu machen – sie spielten unter anderem die gewaltigen Paukenparts aus Russell Pecks „Drumming“ bis zur Tutti-Ober-Obergrenze – hörte man im Foyer ganz andere Töne: Hier gab das Hamburger Barockorchester Elbipolis mit sphärenmusikalischen Werken von Klaudios Ptolemaios, Jean Baptist Lully, oder mit Christoph Bernhards Zusammenwirken „derer VII Planeten“ Klassisch-Reines aus vergangenen Jahrhunderten.

Doch saß da, oh Schreck, einer am Synthesizer, roter Anzug, Stirnsträhne, der das eben Gespielte stoppte und als „DJ Brezel Göring“ ganz im Sinne von Gravitationsrülpsen und Erdknurren mit den grässlichsten Geräuschen der Gegenwart kommentierte. Toll, wie hier das Moderne die geheiligte Klassik „verunreinigt“, und wie den Hamburgern solche Ausflüge gar gefielen! Es gibt hienieden eben nichts Reines, auch keine zweifelsfreie Menschenlehre. Die letzte Wahrheit vom Licht war nicht mal dem Newton-Gegner Goethe bekannt, hätte er sonst noch im Sterben „mehr“ davon verlangt? Nein, in Sachen Licht tappt man heute noch völlig im Dunkeln.

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })