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Kultur: „Mein Buch ist ein Plädoyer für den Rausch“ Ein Gespräch mit Peter Richter, der heute in Potsdam sein Buch über das Trinken vorstellt

Herr Richter, mal ganz ehrlich, glauben Sie ernsthaft, dass der Alkohol bald verboten wird oder nur noch in der Apotheke erhältlich ist?Ich sage nicht, dass es morgen oder übermorgen passiert.

Stand:

Herr Richter, mal ganz ehrlich, glauben Sie ernsthaft, dass der Alkohol bald verboten wird oder nur noch in der Apotheke erhältlich ist?

Ich sage nicht, dass es morgen oder übermorgen passiert. Aber ganz undenkbar ist das nicht. Im Moment kann ich es mir zwar auch nicht vorstellen, aber vor 100 Jahren konnten sich die Leute auch nicht vorstellen, dass Pferdekutschen mal nicht mehr das Straßenbild bestimmen werden oder Menschen keinen Hut mehr tragen würden.

Nun sind Pferdekutschen durch Autos und Hüte durch ein neues Modeverständnis im Grunde nur ersetzt worden.

Ähnlich wie beim Rauchen gibt es mittlerweile auch Initiativen von der EU-Kommission aus Brüssel, die einen ähnlichen Weg beim Alkohol gehen. Da ist zuerst die Aufklärung und dann eine als Aufklärung getarnte Warnung in Form von Warnhinweisen auf Flaschen. Wenn man das nun immer weiterdenkt, führt das zwangsläufig dazu, dass das Trinken als Kulturtechnik, als etwas, das völlig normal ist, immer weiter aus dem Alltag verdrängt wird.

Das sind ja Aussichten! Auf den Schreck möchte man am liebsten gleich einen trinken.

Das könnte aber immer schwieriger werden. Und irgendwann wird es auch verboten sein, als Fußgänger am Straßenverkehr teilzunehmen, wenn man getrunken hat.

In bestimmten Fällen ist das aber auch heute schon mehr als unverantwortlich.

Die Toleranzschwelle sinkt eben immer weiter. Vor fünfzig Jahren waren 1,5 Promille erlaubt. In fünfzig Jahren wird womöglich Alkoholverbot in allen öffentlichen Räumen gelten.

Nun ist die Tabakgenusskultur lange nicht so alt wie die Trinkkultur und wenn man in der Gaststätte neben einem Biertrinker sitzt, ist das für den Nichttrinker bis zu einem gewissen Pegel kaum störend. Was der Nichtraucher, sitzt er neben einem Raucher, nicht gerade behaupten kann.

Damit sprechen Sie das Problem der Passivraucher an, und dass es angeblich keine Passivtrinker gibt. Aber ich würde sagen: Die gibt es doch.

Und was soll das sein, ein Passivtrinker?

Wenn neben mir einer sitzt und trinkt und dabei immer betrunkener wird, ist das auch eine Belästigung. Und je nachdem, wie weit die eigenen Toleranzschwellen schon gesenkt wurden, umso unangenehmer wird das. Es ist schlichtweg so: Trunkene und Nüchterne passen nicht zusammen, denn sie sind sich gegenseitig unangenehm.

Was ist unsere Rettung aus diesem Dilemma?

Unseriöse Antwort: Trinken! Es ist immer einfacher für den Nüchternen betrunken zu werden als umgedreht, es geht jedenfalls schneller. Seriöse Variante:Ich plädiere für eine Kultur der Toleranz. Und wie man das in Deutschland schon teilweise praktiziert, finde ich gar nicht so schlecht. Wer zum Karneval geht oder zum Kegelabend, der rechnet damit, dass die Leute irgendwann nicht mehr ganz Herr ihrer selbst sind und begegnet ihnen mit einer gewissen Nachsicht.

Oder Vorsicht?

Auf Nüchterne wirken Trunkene immer schlimm. Sie selber fühlen sich dabei idealerweise aber wie im Himmel auf Erden. Es ist aber Merkmal und Verpflichtung der Nüchternheit, diese Situation einzuschätzen und rücksichtsvoll zu regeln.

Und um die Betrunkenen in diesem herrlichen Gefühl zu belassen, braucht es die Rücksicht des Nüchternen?

Ja, eine gewisse Toleranz diesem Rauschzustand gegenüber.

Laut Ihren Prognosen scheinen die Nüchternen aber immer mehr die Oberhand zu gewinnen?

Mein Buch ist genau an einer historischen Schwelle angesiedelt. Noch befinden wir uns in einer Kultur des Trinkens, ist es quasi unmöglich, am sozialen Leben teilzunehmen, ohne zu trinken. Aber das war früher viel schlimmer. Ein Blick in die Quellen zeigt, dass es einem Vergehen gleich kam, nicht auf eine höhergestellte Person das Glas zu erheben.

Heute brauchen wir doch aber nur „Nein“ zu sagen?

Ja, in dieser Hinsicht haben wir es einfacher. Aber gleichzeitig, wie wir Menschen nun mal sind, kippt es jetzt in das andere Extrem.

Ein Psychologe beim Medizinisch-Psychologischen-Test, im Volksmund liebevoll auch „Idiotentest“ genannt, würde jetzt vielleicht sagen: Herr Richter, Sie haben ein Problem!

Dem würde ich hoffentlich entgegnen können, dass ich mir die Sache zumindest nicht schön rede, sondern weiß, was ich da tue, wenn ich etwas trinke. Denn wenn ich sage: Ja zum Rausch, heißt das ja, dass ich auch mit geringen Mitteln glücklich werden kann. Mein Buch ist ein Plädoyer für den Rausch. Und damit ist es ein Plädoyer gegen den Alkoholismus, wo es weder auf den Geschmack, noch die beseelende Wirkung ankommt, sondern darum, durch das Trinken überhaupt erst einmal nüchtern zu werden.

Dann doch lieber Abstinenz?

Was man bei einer MPU als erstes lernt, ist: Abstinenz, also so ein reumütiges „Ich trinke nie wieder“ ist kein kontrolliertes Trinkverhalten. Das zeigt nur, dass Sie nicht mit Alkohol umgehen können. Wer „Ja“ zum Alkohol sagt, muss sich auch über dessen Gefährlichkeit bewusst sein.

Da scheint aber das größte Problem zu liegen. Viele ignorieren diese Gefährlichkeit.

Ich habe in meinem Buch versucht, mich mit dem Thema Alkohol in seiner ganzen Ambivalenz und Dialektik auseinanderzusetzen. Es hat ja keinen Sinn zu leugnen, dass dieses Zeug höllisch gefährlich ist. Aber ich sehe auch den geselligen Teil daran, der einer überwiegenden Mehrheit der Leute unglaublich Freude macht. Und nach ein paar Gläsern Rotwein merkt man mir die auch an.

Das Bekenntnis zum Rausch also. Der sogenannte Genusstrinker würde Ihnen jetzt widersprechen und sagen, dass es einen solchen Rausch gar nicht braucht, denn allein der Geschmack zählt.

Das ist die Lebenslüge der Weintrinker. Ich sage auch, dass es schmeckt und dass ich es genieße. Aber ich würde niemals leugnen, dass es dabei ums Trinken geht. Wenn der Wein aus einem Chateau im Bordelais ist und die Flasche 100 Euro gekostet hat, ist der Leberschaden am Ende auch nicht anders, als wenn es einer aus dem Supermarkt war.

Aber der Kopfschmerz danach ist beim Wein aus dem Supermarkt vielleicht dann doch etwas stärker.

Ja, aber Trinken ist Trinken. Natürlich kann man sich das anders ausgestalten. Aber ich habe mein Buch „Über das Trinken“ genannt und nicht „Über das Genießen“. Und mittlerweile ist das Wort Genießen auch zu einem falsch benutzten Kampfbegriff geworden.

Wie bitte?

Genießen wird häufig als Gegensatz zum Saufen verwendet. Im Ursprung meint es aber genau das. Im Französischen wird das noch deutlicher, bei Lacan bedeutet das „Genießen“, die „jouissance“ sogar ein hemmungsloses Reinschaufeln, das triebhafte Befriedigen von Gelüsten, also das Gegenteil von dem, was die Genießer für sich in Anspruch nehmen.

Also auch nur Schönrederei. Darum ein offener und ehrlicher und bewusster Umgang mit dem Trinken und seinen nicht immer angenehmen Folgeerscheinungen?

Ich würde das noch erweitern: Für den offenen und ehrlichen, risikobewussten, aber auch risikobereiten Umgang mit dem Leben an sich. Das Trinken flößt uns Leben ein. Das ist ja das Tolle. Schon die alte, griechische Erfindung Dionysos hat aus Wasser Wein gemacht und aus nüchternen, langweiligen Typen Trunkene, die angesäuselt großen Spaß verbreiten und auch selbst haben. Der Alkohol belebt. Um das mal metaphorisch gleichzusetzen: Das Leben an sich ist auch kreuzgefährlich, und natürlich ist es sicherer, zu Hause zu bleiben. Aber es ist dann auch verdammt langweilig und öde und letztendlich nicht lebenswert.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Peter Richter spricht am heutigen Samstag, 18 Uhr, Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, über das Trinken. Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro. „Über das Trinken. Ein Plädoyer für selbstbewussten Lebensgenuss“ ist im Goldmann Verlag erschienen und kostet 12,99 Euro

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