
© Manfred Thomas
Von Heidi Jäger: „Mein japanischer Körper ist anders“
In der „fabrik“ gibt es heute und morgen Tanz aus Japan – zwischen Tradition und Moderne
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Nichts steht fest. Alles, was es schon einmal gab, ist vergessen. Der Butoh-Tänzer beginnt bei Null. Oder besser: bei sich. Er ist ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Auf seine spirituelle Kraft. Daraus formt er Bewegungen, eine Choreografie. Ein langer Weg. Yukio Suzuki geht ihn schon seit über zehn Jahren. „Als ich das erste Mal Butoh auf der Bühne sah, dachte ich nicht, dass das wirklich Tanz ist“, sagt der 37-Jährige, der zuvor zwei Jahre in einer freien Theatergruppe als Schauspieler arbeitete. Eigentlich verließ er seine kleine Heimatstadt, um in Tokio Soziologie zu studieren. Doch die Magie des Theaters war stärker. Und als Butoh in sein Leben trat, ließ ihn diese Kraft nicht mehr los. Jeden Tag feilt er vier, fünf Stunden, um es in seiner Körperpraxis zur Meisterschaft zu bringen.
Heute und morgen steht er gemeinsam mit zwei anderen Butoh-Tänzern in Potsdam auf der „fabrik“-Bühne, zeigt eindringliche Bilder, in denen er Geburt, Leben und Tod durchschreitet. In einem sehr weit gefassten Sinn. Denn ein konkretes Thema gibt es nicht, betont Yukio Suzuki. Die Grundverabredung lautet nur: Es ist verboten zu tanzen. Aber was ist Nicht-Tanzen?
„Manche Zuschauer werden die Parallelität zwischen uns drei sehen, andere die Unterschiede.“ Denn jeder Tänzer bewegt sich in seiner eigenen Form, auch wenn sie in diesem Fall eine vorgegebenen Struktur des Choreografen Ko Murobushi füllen. Aber im Gegensatz zu anderen Tänzen, wie Ballett oder HipHop, gibt es kein bestimmtes Bewegungsvokabular. „Nicht die Form verbindet uns, sondern die Herangehensweise.“ 25 Minuten kann der Zuschauer in diesen „Tanz der Finsternis“, wie Butoh auf Deutsch heißt, hinabsteigen, ein Tanztheater erleben, ohne feste Form, aber von meditativer Zartheit und kraftvoller Präsenz, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan entstand und sich an dem modernen deutschen Ausdruckstanz der 20er Jahre orientierte.
In die Nachkriegszeit führt auch das Stück „Circus“ des Natural Dance Theatre zurück, das ebenfalls in dem so unterschiedlich geschnürten Dreierpack „Tanz aus Japan“ enthalten ist. Elf Tänzer lassen darin eine bunte Zirkuswelt entstehen, in der sich Fantasie und Realität behutsam berühren. Die Geschichte beruht auf dem Buch „Zirkushund“ eines französischen Autors. „Darin geht es um die Menschen, die die Zirkuszelte aufbauen. Einer von ihnen hat den Traum, eines Tages selbst einen Zirkus zu führen. Als er einen Hund findet, der besondere Kunststücke vollbringt, wird dieser Traum wahr.“ Die Choreografin und Tänzerin Mako Kawano versetzte diese märchenhafte Geschichte nach Japan, in die Zeit nach dem Krieg, als die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki alles zerstört hatten. „Unsere Idee war es, zu zeigen, dass man selbst, wenn alles am Boden liegt, seine Träume bewahren sollte.“ Der Krieg sei heute weitestgehend vergessen, spiele im Bewusstsein der jungen Menschen kaum mehr eine Rolle. Ihr ging es vor allem darum, an die Zeit danach, an den Zusammenhalt in der Not, an die soziale Wärme zu erinnern, an der es heute oft fehle. „Schon allein die Musik aus jener Zeit hat einen viel klareren Rhythmus, nicht so viele aggressive Beats.“ Als sie mit ihrem Natural Dance Theatre und diesem 2005 entstandenen Stück das erste Mal durch Amerika tourte, habe sie Angst gehabt, es vor ausländischem Publikum zu zeigen. „Doch die Zuschauer haben unsere Idee verstanden.“
Hinter der 45-jährigen Mako Kawano liegt ein langer Weg der Erkenntnis: „Ich erlernte sehr viele Tanzstile und Techniken und warf schließlich wieder alles über den Haufen, um von vorn zu beginnen. Ich spürte, dass mein japanischer Körper anders ist. Vielleicht liegt das daran, dass die westlichen Tanztechniken viel mit Muskeln zu tun haben. Unser japanisches Denken zielt indes auf den Fluss, der durch den Körper zieht.“ Sie wisse nicht, was Tanz sei. „Auf keinen Fall sind es Formen, die ich lernen kann. Es geht um das sich selber entdecken“, sagt sie und lächelt Yukio Suzuki, dem Butoh-Tänzer, einvernehmlich zu.
Tanz aus Japan, Tradition und Moderne, Mittwoch und Donnerstag, jeweils 20 Uhr, fabrik, Eintritt 12/erm. 8 € (Vorverkauf), Tel. 240923.
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