Kultur: „Mein kleiner Mann Hans-Dieter ...“
Nacht der Kabarett mit Clemens-Peter Wachenwitz, Peter Ensikat Gerd Weismann und anderen
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Der Unterschied zwischen lachen können und lachen müssen trennt Kabarett von allem lauwarmen Sud. Wo es die Lachmuskeln nicht „strapaziert“ sondern terrorisiert, da ist es wirklich zu Hause. Lange Nacht – lachende Nacht: Die Abschlussveranstaltung der Kabarett-Woche im „Obelisk“ machte diesmal keine halben Sachen, kein Blatt vor dem Mund, es war wie ein Rausch, und jedermann rauschte wunderbar mit. Kabarett, das seinen Namen verdient, ist also Subversion gegen den Schlafgeist der Braven, sogar „Terrorismus“.Wenn Schäuble das mitkriegt, wird er auch das Kabarett noch verbieten. Deshalb geht man hin, Lauheit hat man ja sonst genug ringsherum. Volles Haus bis hoch zur Empore diesmal. Freilich wurde gemunkelt, es seien zu wenig Eingeborene dabei, selber schuld.
Volles Haus hieß auch ganzes Haus, denn das legendäre „Durchhalte-Bufett“ wurde unten und oben serviert. „Nicht drängeln, nicht schubsen, langsam kauen, es ist genug für alle da“, sagte Gretel Schulze zur Begrüßung bestgelaunt, und das war nicht einmal geflunkert.
Die veranstaltenden Obelisken und Obeliskinnen achteten nicht nur auf Qualität und Quote, sondern auch auf programmatische Vielfalt. Gerd Weismann aus Baden-Baden eröffnete den Abend mit einem verbalen Soloprogramm, wie das heute üblich ist. Er siedelte sein Programm zwischen der Strip-Bar „Blue Angel“ und Kabarett an, also zwischen privat und Gesellschaft. Aus der leeren Bühne machte er eine sparsame Bühne, aus seinem vermeintlichen Übergewicht ein gutes Bonmot: 280000 Mark stopfe man sein Leben lang als Nährmittel in sich rein: „Vor Ihnen steht ein halbes Eigenheim!“ Zum Schluss tat er das, was ihn zum Kabarett trieb: Scharfschießen gegen Politiker a la Karl May. Stoiber als Hadschi Halef Omar, Bush als „Ölprinz“, Westerwelle war Winnetou, der zuletzt beim Rauchen der Friedmann-Pfeife Old Shatterhand ehelicht, also den französischen Sarkozy. Der Badener versprach eine Fortsetzung „Von Bagdad nach Teheran“, todsicher.
Den Altmeister der hohen Satire, Peter Ensikat, ins Zentrum des Abends zu setzen, war klug. Ungeheure Lachsalven, Total-Begeisterung beim Vortrag älterer Texte und weisheitsschwangerer Reime, etwa „regiert wird die Titanic/am besten nur mit Panik“. Er erzählte vom Kabarett-Alltag in der DDR, von Verboten und Erlaubnissen, und warum es heute „scheißegal“ sei, etwas zu sagen oder nicht – auch wider Miss Marple aus der Uckermark, Angela Merkel. Gegen Bush und Co. könne man reden – aber auch tun? Begeisterung für und Hochachtung vor seinen Dichtkünsten hielten sich die Waage, ein Riesenerfolg.
Das Cottbuser Damen-Doppel „Meck ab!“ konnte hier nahtlos anschließen, besonders, als Andrea Kulka („Feindbild Mann“) die Leute im Parkett als PO-LITHÄß terrorisierte, bis der ganze Saal vor Lachen brüllte. Die Nummer „Rent a Rentner“ hatte man auch bei den „akademixern“ gesehen. Absoluter Hammer: „Mein kleiner Mann Hans-Dieter, hängt draußen am Balkon“ nach den Comedian Harmonists. Ein paar Füllnummern am Akkordeon (Carola Urbschat) verrieten die Ausbaufähigkeit des Programms. „Meck ab!“ repräsentierte zugleich die weibliche Seite des Brandenburgischen Spottgemeinde.
Kurz vor Mitternacht dann Clemens-Peter Wachenschwanz, hinterthüringisches Urgestein und Dauergast der Kabarett-Wochen seit eh. Das Klavier von Soul bis Rock absolutissimo beherrschend, redete er auch diesmal nur von sich und der Welt, doch wie er das tat, ließ kein Auge trocken, besonders als er den gesamten Saal freiwillig zum Mitjodeln brachte, musste man einfach lachen. Ein Stimm- und Kraftpaket, perfekt bis in die Mimik. Er durfte auch mal „Weib“ und „Neger“ sagen – und nix geschah!
Der extrem gelungene Abend zeigte also, was Kabarett kann und soll: Wider die Lauheit mit Kraft und Frechheit voran! Gerold Paul
Gerold Paul
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