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Kultur: „Meine wundervolle Tochterschaft ist vorbei“

Neue Veranstaltungsreihe im Fontane-Archiv „Unter Palmen“ / Die erste war Mete gewidmet

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Neue Veranstaltungsreihe im Fontane-Archiv „Unter Palmen“ / Die erste war Mete gewidmet Von Gerold Paul Wie schreibt „man“ eigentlich eine Biografie, wo setzt man Schwerpunkte, ein fremdes Leben ins Gespräch zu bringen, was tun, was lassen? Diesen eher merkwürdigen Fragen ging die Zürcher Literaturwissenschaftlerin Regina Dieterle im Potsdamer Fontane-Archiv nach, denn ihr Offizium will, dass sie ein Buch über das zerrissene Leben von Martha verfasst, Lieblingstochter des märkischen Dichterfürsten, eine Biografie eben. Ein Vertrag mit dem Hanser Verlag ist perfekt, das Zeitlimit fixiert, im nächsten Jahr zum Sommer muss es fertig sein, Arbeitstitel „Martha Fontane - eine Biografie“. Aber noch sind viele Fragen offen, die Gymnasiallehrerin weiß nur, dass sie das mit einem Fenstersturz zu Waren beendete Leben nicht vom Ende her darstellen mag und ein Werk ohne Fußnoten schreiben will. Archiv und die Fontane-Gesellschaft machten aus solcher Not eine Tugend und baten das gute Dutzend Gäste „Unter Palmen“ um Mitarbeit, zumal sich die charmanten Damen Am Bassin davon auch ein Zu-sammenrücken der Berliner und Brandenburger Sektionsmitglieder von Fontanes Gesellschaft versprachen. Statt Palmen zwar nur eine solitüde Yukka, aber sonst gab es ein lebhaftes Mittun an einem Buche in spe, welchem der Fokus noch fehlt. Die 1860 geborene Martha stand ein Leben lang im Schatten ihres berühmten Vaters, deren Beziehung die Autorin in einem anderen Buch vorsichtig als „erotisch aufgeladen“ bezeichnete. Ein merkwürdiger Hase-und-Igel-Effekt: wohin sie auch ging, er war längst vor ihr da, und hatte alles bestens beschrieben. Mit fünf Jahren wurde sie eingeschult („keine Spuren“), mit zehn schickte man sie zur Erziehung nach England. Just in diesem Moment beendet er seine journalistische Tätigkeit über die Insel und geriet in die Wirren des Deutsch-Französischen Krieges. Obwohl die Korrespondenz („meine liebe Kleine in England“) der beiden, so Dieterle, eifrig gewesen sein muss, ging dieser Briefwechsel komplett verloren. Auch sonst ist die Quellenlage eher dürftig, deshalb vielleicht die Bitte ans Auditorium, beim Ergründen dieser Biografie demokra-tisch mitzudenken. Marta Fontane (Mete) wird als typisches Kind ihrer Zeit geschildert, kurze Haare, aber enges Mieder, gesellig, reiselustig, ein Plaudertalent mit der Begabung, Briefe literarischen Anspruchs zu schreiben. Auf der anderen Seite Rückzug in die Innerlichkeit, Angstzustände, körperliche Beschwerden wie Magendrücken und Erbrechen, schließlich die manische Depression, welche ihr Leben 1917 beendete. Fünf Ärzte konnten ihr nicht mehr helfen. Sie lebte offenbar ganz im Werk ihres Vaters, identifizierte sich mit Corinna aus „Frau Jenny Treibel“, unterzeichnete dergestalt sogar ihre Briefe. Eine „Literatentochter“ durch und durch. Heute würde man sagen, sie hätte es nicht geschafft, sich von Theodor Fontane zu lösen, nicht ganz ohne sein Zutun, denn als sie nach Paris gehen wollte, verbot er es strikt. So half sie beim Fertigstellen seiner Bücher, und als er 1898 starb, seufzte sie „Meine wundervolle Tochterschaft ist vorbei". Nachdem sie zwei Bände Familienbriefe („schlecht ediert“) herausgegeben hatte, zog sie sich doch vom Werk ihres Vaters zurück. Ihre Ehe mit dem berühmten Architekten Fritsch dauerte von 1900 bis zu seinem Tod im Krieg 1915, dann ging es mit ihr rasant bergab. Sie wusste viel Liebe um sich, aber niemand konnte ihr helfen. In Waren liegt sie begraben. Dieses Leben enthält nun alles, was einen Biografen interessieren kann, Tiefe, Tragik, Größe. Um so verwunderlicher die fragende Ungewissheit der Züricher Fontane-Forscherin, die sogar noch Psychologie studiert hat. Schrieb der märkische Landmann nicht 1884 an seine Frau Emilie: „Meine ganze Produktion ist Psychographie und Kritik“? Der Vater spiegelt sich in der Tochter, diese, und gerade diese, so ganz in und durch ihn. Unübersehbar will die Gegenwart an seinem Dichterthrone sägen, da helfen viele Stimmen nicht und kein Rat eines noch so geschulten Publikums. Fontane zum Mitdenken? Man muss selbst formulieren, was einen interessiert. Eine vollkommene Biographie hat noch nie einer geschrieben. Selbst unter Palmen ist alles nur ein Verhältnis, etwa: Die Mete und ich.

Gerold Paul

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