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Interview mit Fabian Hinrichs: „Melancholie ist ja nichts Schlechtes“

Der Schauspieler und Neu-Potsdamer Fabian Hinrichs ist vielleicht einer der intellektuellsten Schauspieler derzeit. Am Sonntag liest er aus Pessoas „Buch der Unruhe“.

Stand:

Herr Hinrichs, Sie lesen am Sonntag in Potsdam aus Pessoas „Buch der Unruhe“. Was bedeutet das Buch für Sie?

Ich habe vor ungefähr 20 Jahren zum ersten Mal den Namen Fernando Pessoas gehört, er bekam damals von einem meiner Professoren das Etikett „der Kafka Portugals“ verpasst und so wie ich schon viele Ziele hatte in meinem Leben, so hatte ich dann auch dieses – irgendwann einmal etwas oder auch etwas mehr von Pessoa zu lesen. Ich hatte dann vor Kurzem ein wunderbares Gespräch mit meinem freundschaftlichen Bekannten Joseph Vogl, der ja unter anderem den verdienten Ruf genießt, einer der renommiertesten Kafka-Forscher zu sein, wir unterhielten uns da auch über Kafka. Auf der Fahrt nach Hause, nachts auf der Autobahn, hörte ich im Radio ein Feature, magische, magnetische Sätze kamen aus den Lautsprechern. Ich wollte wissen, von wem sie stammen und dann war klar, es waren Zitate aus dem „Buch der Unruhe“. Ich habe es mir dann sofort gekauft und nur ein paar Tage später meldete sich Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro und fragte mich, ob ich nicht eine Thomas Bernhard-Lesung im Literaturhaus machen wollte. Ich schlug ihm dann Pessoa vor, einen Autoren also, den ich gerade erst für mich entdeckt habe.

Für die Hauptfigur Bernardo Soares sind „Sehen und Hören die einzigen edlen Dinge, die das Leben enthält, die übrigen Sinne sind plebejisch und rein körperlich“. Sehen und Hören, das ist es auch, was der Zuschauer im Theater muss und kann und darf. Können Sie Soares also zustimmen?

Fragen Sie mich, ob ich auch anderen Sinnen etwas abgewinnen kann? Soares leidet ja unter Vielem, insbesondere unter der Uneinheitlichkeit des Ichs und da es das einheitliche Ich für ihn nicht gibt, gibt es auch kein Ich, das überhaupt Aussagen treffen kann, die sich nicht ständig selbst widersprechen. Und so zerreißen Soares die allgegenwärtigen, die unausweichlichen Ambivalenzen, zum Beispiel zwischen der Sehnsucht nach überschäumendem, auch körperlich überschäumendem Leben und Handeln und dem Bewusstsein von der Vergeblichkeit all dessen.

Fabian Hinrichs, 1974 in Hamburg geboren, ist der Sohn eines Polizisten. Seit vergangenem Jahr ermittelt er selbst – allerdings im Franken-Tatort.

Von einem Jurastudium war er einst an die Westfälische Schauspielschule Bochum gewechselt. Nach dem Abschluss gehörte er von 2000 bis 2005 dem Ensemble der Volksbühne Berlin an.

Im vergangenen Herbst ist Hinrichs mit seiner Familie von Berlin nach Potsdam gezogen.

Erkennen Sie sich darin?

Ich selbst leide zwar auch des Öfteren an Verschiedenem, aber ich liebe es beispielsweise, draußen im Sommer mit meiner Familie Ball zu spielen – für Soares undenkbar, da ist ja kein Ball und schon gar keine Familie, da ist ja nichts. Und von diesem Nichts, das ja seinem nihilistischen Denken nach Alles ist, behauptet er verzweifelt, dass er es lieben würde. Aber sofort fragt er sich, wer er denn überhaupt sei und ob ihm so etwas wie Liebe überhaupt schon einmal begegnet sei.

Soares wirkt sinnesfeindlich. Er sagt: „Die Frau ist eine gute Quelle für Träume. Berühre sie nie!“ Ist das nicht wahnsinnig traurig?

Natürlich ist das wahnsinnig traurig, warum sollte es das auch nicht sein? Melancholie ist ja per se nichts Schlechtes. Sie können ja auch den Glückszustand in vielerlei Hinsicht als eine Einschränkung des Bewusstseins sehen. Wenn Sie anfangen, den Radius zu vergrößern und vom Detail zum Totalen zu wechseln, spürt jeder doch plötzlich, in welchem Kontrast zur Welt er sich gerade befindet. Das macht rasend schnell zum Melancholiker. Das Leben beschreibt Soares ja als eine Illusion, die kurz und trist ist. Und so wie alles vergeblich ist, ist auch die Liebe vergeblich, denn man tut ihr Unrecht, wenn man versuchte, sie ins Leben zu holen oder ins Lebensähnliche.

Ganz anders ist es mit der Kunst.

Soares begegnet seinen allgegenwärtigen Ohnmachtsgefühlen und Ohnmachtserfahrungen mit einem Willen zur Kunst und Kunst ist eben die Verneinung des Lebens. Das kann man so sehen. Denn vielleicht ist die Begegnung mit einem Menschen im Traum wirklicher als im Leben, das er als nicht wirklich empfindet? Mich ergreift das, auch wenn ich sehr anders lebe, denn ich bejahe gleichzeitig das Dasein, ich freue mich gleichzeitig darüber zu leben, ich möchte mich und mein Leben nicht zur Ruhe legen. Soares möchte das ja auch nur, weil er diese Unruhe, die ihn nicht schlafen lässt, nicht mehr aushält. Das kann ich verstehen, das ist mir nicht fremd.

In der Kunst, sagt Soares, gibt es keine Enttäuschung, weil die Täuschung von Anfang an inbegriffen war. Was bedeutet Kunst für Sie?

Ich habe früher, ganz früher, ein bisschen Rechtswissenschaft studiert. Über allem steht in der Rechtswissenschaft das Prinzip der Kausalität. Ich wollte nicht, dass ich am Ende meines Lebens, wann immer das auch sein mag, dieses Leben hauptsächlich aus kausalen Zusammenhängen rekonstruieren würde. Also erst ist dies geschehen, und deswegen danach dies. Davon wollte ich mich wegbewegen, auch aus Angst davor, durch solch ein Denken früh zu erlöschen. Das war meine fast flehentliche Erwartung an die Kunst. Und andere Bedeutungen gibt es auch, aber darüber möchte ich nicht so gerne sprechen, das wäre mir zu intim.

Sie haben in einem Interview zu „Ich habe um Hilfe gerufen. Es kamen Tierschreie zurück“ – einem Abend, den Sie mit Schorsch Kamerun inszeniert haben – gesagt, Sie suchen das Zweckmäßige ohne Zweck. Was genau wäre das?

Das bezog sich damals auf Kants Theorie des Schönen und Erhabenen – also Kunst sollte nicht absichtlich mechanisch sein, um schön zu sein und der Gegenstand der Kunst sollte groß sein. Damit meinte ich aber nicht, dass Kunst keinen außerästhetischen Zweck haben darf, sonst wären Gedichte von Brecht beispielsweise ja keine Kunst. Sondern eher dass das, was man macht, nicht nur noch ökonomischen Zwecken und Prinzipien dienen sollte, wie zum Beispiel weite Teile der gegenwärtigen Bildenden Kunst. Weshalb sie auch oftmals so leer ist.

Sie sind erst vor Kurzem von Berlin nach Potsdam gezogen – warum?

Ach, es hat viele Reize. Das Rauschen der Bäume zum Beispiel. Ja, diese hohen, schönen Bäume. Und meine Frau leitet ein Frauenhaus für traumatisierte Flüchtlingsfrauen und -kinder hier – das war auch ein Grund, hier herzukommen.

Verfolgen Sie inzwischen auch schon stadtpolitische Debatten? Jörg Hartmann, der ja wie Sie Tatort-Kommissar ist, engagiert sich etwa für die Rekonstruktion der historischen Mitte.

Bisher noch nicht, nein. Ich kann Jörg ja einmal ausfragen, vielleicht werde ich infiziert.

Hat Potsdam in Ihren Augen kulturell etwas zu bieten?

Bestimmt, aber ich wohne ja erst ein paar Monate hier, ich gebe mir da noch viel Zeit zum Erforschen. Ich glaube, Potsdam hat eine einigermaßen progressive Punk-Kultur, das wäre vielleicht etwas für meine Frau. Und für mich auch, im Fahrwasser.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Fabian Hinrichs liest am Sonntag um 18 Uhr in der Villa Quandt, Große Weinmeister. 46/47, aus Fernando Pessoas „Buch der Unruhe“.

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