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&#Ein großer Sinnsucher. Heinrich von Kleist.

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Kultur: Mensch oder Offizier?

Das Kleist-Jahr 2011 in Potsdam / Die Kleistschule schob eine gebündelte Jubiläums-Offerte an

Stand:

Unter diesen niedrigen Balkendecken hat er gelernt. Mit Ehrgeiz. Doch nicht das Pauken war ihm wichtig, sondern das Selberdenken. Wenn Heinrich von Kleist über seine sieben Potsdamer Jahre auch sagt, dass sie „eine unwiederbringlich verlorene Zeit“ gewesen seien, fühlte er sich an seiner Schule doch sehr wohl. Er liebte die Mathematik, die Philosophie, die deutsche Sprache.

An diesem authentischen Ort mit den ausgetretenen Holzstufen, an dem er zwei Jahre den Geist der Aufklärung einsog, gab es am gestrigen Dienstag ein theatral angereichertes Pressegespräch. Studierende des zweiten Bildungswegs, die heute an der Kleist-Schule lernen, lasen einfühlsam aus Briefen von Kleist und seiner Marie: über den bevorstehenden Freitod des Dichters, den Marie verhindern wollte, denn „man muss niemals aufschieben, einem Unglücklichen zu helfen“. Doch die Todessehnsucht ihres Anverwandten war stärker. Seine Seele war so wund, dass ihm „das Tageslicht weh tat“, wie der hochempfindsame Geist notierte. Ihre Annäherung an Kleist werden die Abiturienten in einer szenische Lesung am 27. Juni im barocken Innenhof ihrer Schule präsentieren.

Es gibt eine Vielzahl spannender Projekte, die das Leben und Werk von Kleist in diesem Jahr nachspüren. Die Kleistschule war es, die die Initialzündung gab, den 200. Geburtstag des Dichters nicht an Potsdam vorbei ziehen zu lassen und Berlin und Frankfurt (Oder) allein zu überlassen. So ist eine Bündelung entstanden, in der die Kleist-Inszenierungen des Hans Otto Theaters, des freien Theaters Marameo, Aufführungen vom Filmmuseum und eben die eigenen Projekte der Kleistschule integriert sind: auf einem Flyer werbewirksam publiziert. Die Kulturbeigeordnete Iris Jana Magdowski erinnerte gestern daran, wie der 14-jährige Kleist in die Stadt kam und gemäß der Familientradition in den Militärdienst eintreten musste. „,Mensch oder Offizier?“, diese Frage spaltete jedoch bald das Denken des rebellischen Geistes, der sich mit 21 Jahren gegen das Militär entschied. Und damit die Familie brüskierte, aus der bereits 23 Generäle hervorgegangen waren. So viele wie in keiner anderen preußischen Adelsfamilie.

Was in den Jahren vor diesem Entschluss passierte, dem geht die „Kleist-Spur“ nach. Dieser Literarische Spaziergang stellt am 27. Juni Orte vor, die Kleist nachhaltig inspirierten: wie seine Wohnung im Holländischen Viertel oder die seiner Seelenverwandten Marie in der Brandenburger Straße 52 (heute Karstadt). Auch die Friedrich-Ebert-Straße (am heutigen Hotel Voltaire) suchte er gerne auf, um seiner Jugendliebe Luise nahe zu sein. Mit den Studierenden der Kleistschule könnte diese Spur eine sehr lebendige Annäherung an den großen Sinnsucher werden.

Direkt für Potsdam konzipiert ist auch ein Vortrag von Schriftsteller Jens Bisky, der meint, dass Kleists Zeit in Potsdam nicht nur auf das Militär reduziert werden kann. „Inspiriert durch die Ideen der Aufklärung, durch den Kreis der Gleichgesinnten und durch den Besuch der Großen Stadtschule, kam es zu der selbstbestimmten Entscheidung für einen neuen Lebensplan“, so der Schriftsteller, der am 11. November im Kutschstall zu erleben ist. Wie würde Kleist in der heutigen Zeit zurecht kommen? Dieser Frage gehen Miriam Sachs und Leo Solter in der Szenischen Lesung „Kleist in meiner Küche“ – einem Monolog für zwei Personen und einen Fernseher nach, die am 30. September in der Kleist-Schule zu sehen ist. Hier trifft eine Literaturstudentin auf Kleist, der sich erstaunlicherweise im modernen Berlin recht wohl fühlt.

Im Hans Otto Theater steht Kleist eigentlich immer auf dem Spielplan, unabhängig von Jubiläen. Derzeit sind es „Familie Schroffenstein“ und „Amphitryon“. In der kommenden Spielzeit gesellt sich „Käthchen von Heilbronn“ dazu. Marameo wagt sich im Sommertheater an „Prinz Friedrich von Homburg“ und das Filmmuseum zeigt zwei filmische Versionen vom „Zerbrochenen Krug“. Eine wortgetreue von Gustav Ucicky (1938), Regisseur aus der ersten Reihe der NS–Riege und eine von Günter Reisch, der 1968 in „Jungfer, Sie gefällt mir“ ins Derb-Klamottenhafte griff und damit die Eiszeit nach dem Verbotsjahr zahlreicher Defa-Filme konterkarierte. Kleist lässt sich eben in viele Richtungen interpretieren. Heidi Jäger

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