zum Hauptinhalt

Kultur: Menschen unter sich

Großes Gefühl bei Krepskos „Errorism“

Stand:

Das Theater der Gegenwart tendiert dazu, seine Gegenwärtigkeit mit aller Macht herauszuposaunen. Bloß nicht gestrig scheinen, traditionell, staubig, „nostalgisch“! Das Ergebnis sind Bühnen so voller Videoleinwände, Mikroports, Bildschnipseln und krachigen Sounds, dass man den Menschen darin fast suchen muss. Sicher, all das ist oft gut gebaut und der medienkritische Impuls, den man dahinter vermuten mag, fragt berechtigt nach der Position des Menschen in einer Welt, die von Technik dominiert wird. Theater, die sich ohne digitale Schnörkel dem Menschen selber widmen und die uralten Geschichten seiner Geschicke und Missgeschicke neu erzählen, wirken fast wie archaische Inseln, auf denen der Mensch noch mit sich allein sein darf.

Die Prager Gruppe „Krepsko“ ist eine solche Insel. 2006 waren sie mit „The smallest Woman on Earth“ bei Unidram zu Gast, in diesem Jahr gastierten sie mit ihrem pantomimischen Stück „Errorism“. Die Finnin Linnea Happonen, Regisseurin und künstlerische Leiterin, zeigte damit, dass Menschsein auch ohne spät- oder postmoderne Dilemmata kompliziert genug sein kann. Das Konzept mag traditionell sein. Aber gestrig, geschweige denn staubig ist das noch lange nicht. Denn in „Errorism“ geht es um etwas, das so alt wie der Mensch selbst: die trick- und oft umwegreiche Suche nach der Liebe. Zwei Männer buhlen um eine Frau, ein Dritter triumphiert. Alles geschieht um einen Tisch und zwei Stühle, ein Klavier (Jan Kalivoda) untermalt die pantomimischen Szenen stummfilmhaft mit einer atmosphärisch passenden Musik. Dazwischen kurze Blacks. Keine Lautsprecher, nur Live-Musik, an Bildern nur, was die Darsteller (Linnea Happonen, Jan Jakubal, Jan Kalivoda und Jiri Zeman) spielen. Perfektes, puristisch poetisches Kammertheater. Alles handmade, im Hier und Jetzt.

„Errorism“ erzählt nicht wirklich eine zusammenhängende Geschichte, sondern besteht aus mehreren Tableaus, die sich zu einem losen Ganzen zusammenfügen. Eines der Motive spielt mit einer Aschenputtel-Variation. Ein tieftrauriger Jüngling (Jiri Zeman) sucht nach seiner Liebsten, von dem ihm nur die Kufe ihres Schlittschuhs geblieben ist. Sein sehnsuchtsvoller, schmachtender Schwanentanz über die Bühne als wäre sie eine Eisbahn gehört zu den schönsten, einprägsamsten Momenten des Abends. Hier erkennt man sie, die Liebe, in ihrem übergroßen Ernst, ihrer sanften Schnulzigkeit. Das Publikum lacht herzlich über die Schlittschuhbewegungen auf dem Trockenen, die so unpassend sind – und doch so berührend, weil unser Schlittschuhläufer mit Hingabe an das Eis glaubt.

Der Charme von „Errorism“ besteht in genau dieser Mischung aus vorsichtiger Ironie und großem Gefühl, Komik und Poesie – und nicht zuletzt im Wiedererkennungseffekt der vertrauten Szenarien. Denn viele der Fehlschläge, die „Errorism“ so liebevoll inszeniert, sind seltsam bekannt: Ein Paar sitzt am Tisch, sieht einander in Spannung an, greift sich bei den Händen, küsst sich fast – aber nur fast. Dreimal versuchen sie es und schaffen es doch nicht. Immer zückt sie im falschen Moment den Lippenstift, entkorkt er noch eine Flasche Wein und setzt damit eine Ereigniskette in Gang, an deren Ende der Mann an dem Korken erstickt. Das ist beim Zusehen sehr sehr komisch; die damit bloßgestellte Abhängigkeit von bestimmten Verhaltensmustern, in die der Mensch sich allzu gerne verheddert, ist es eigentlich nicht. Womit wir wieder beim Menschen wären. Auf seine delikate, überschaubare Art feiert „Errorism“ das, was ihn unter anderem ausmacht: Seine mal rührende, mal störrische Fehlbarkeit. Mit Slapstick, Pantomime, Musik, Gefühl und viel Humor. Das mag nostalgisch sein – man spürt die unmittelbare Nähe zur tschechischen Tradition der Pantomime, zu den Komikern des Stummfilms. Aber auch Nostalgie gehört zum Menschsein wie seine Missgeschicke und Sehnsüchte. „Errorism“ weiß von alledem zu erzählen. Traditionell. Und sehr berührend.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })