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Kultur: „Messbilder“

Fotoserien aus DDR-Zeiten im Alten Rathaus

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Im Alten Rathaus ist unter dem nüchternen Titel „Konzept, Kunst, Kritik - Förderaufträge der Gesellschaft für Fotografie (GfF)“ eine Ausstellung von Fotografieserien zu sehen, die, wenn man so will, gut zwanzig Jahr zu spät kommt. Die ausgewählten Serien entstammen den Jahren 1983 bis 1990, spiegeln das letzte Aufbäumen der DDR genauso wider wie deren finalen Zuckungen. Doch der zeitliche Abstand hat den meisten der Arbeiten, die nun der Sammlung der Stiftung Moritzburg in Halle angehören, gut getan.

Die ideologische Last des sozialistischen Menschenbildes, die jeder Künstler, der vom Staat eine Förderung erhoffte, zu tragen hatte, wiegt nun nicht mehr so schwer. Das Serielle, das eine enge Verwandtschaft mit dem Prototypischen und Musterhaften besitzt, musste einem Staat gefallen, der einen neuen, den sozialistischen Menschentypus formen wollte. Bei heutiger Betrachtung leuchtet jedoch immer stärker auch das Individuelle hervor. In der Beschreibung heißt es über die dargestellten Gegenstände: „Die Serien dokumentieren Familien, Dorf- oder Arbeitsleben und zeigen soziale Verhältnisse in Stadt und Land“. Stand früher vielleicht wirklich der Gedanke der Dokumentation eines Musterstaates mit Musterbürgern im Vordergrund, wie nüchterne Messbilder die Häuser einer Stadt wiedergeben, ist heute der Blick frei hinter das eigentliche Motiv. Auf die Botschaft, die zusätzlich vom Künstler teilweise verschlüsselt übertragen wurde.

Rudolf Schäfer bleibt 1986 in seinen „Porträts von Antifaschisten“ noch eindeutig auf Linie. Die staatstragende Funktion der Porträtierten wird durch einen weihevollen Lichteinfall auf ihre ergrauten Häupter noch unterstützt. Die Kittelschürzenträgerinnen, die Helga Paris in der VEB Treffmodelle an ihrem Arbeitsplatz 1984 aufnahm, gefielen gewiss auch der Partei. Als stämmige, selbstbewusste Proletarier. Doch schaut man genau, sieht die eine Arbeiterin deutlich über den Horizont ihres Kombinats hinaus. Und trägt sie nicht aufreizende Netzstrümpfe?

„Es ist ein großes Verdienst der Förderaufträge, dass sie den Fotografen in Ostdeutschland ermöglichten, frei künstlerisch zu arbeiten“, heißt es im Begleittext. Die Freiheit im Dokumentarischen reizte sicher Jochen Ehmke mit seiner Serie „Zwischen Buna und Leuna“ vollständig aus. Badende Kinder im Flusswasser neben dem Chemie-Kombinat, ein Jugendlicher, dessen Angel im Brackwasser hängt. Ein Liebespaar, das sich auf einer Betonfläche schutzlos herumwälzt, während direkt über ihnen auf einem Deich Spaziergänger laufen. Dagegen stehen Arbeiten wie die von Gerhard Weber, der 1983 bis 85 ein dörfliches Idyll festhält. Hochzeit zwischen Schwein und Schaf, die Einbauküche symbolisiert die Gnade der Planwirtschaft. Oder Christian Borchert, der mit seinen 1983 aufgenommenen Familienporträts beinahe gleichzeitig auch eine Typologie der Schrankwände mit Fernsehempfänger im Land unternahm. Frei im Sinne einer eigenen Bildsprache, die losgelöst vom Förderer ihren Ausdruck sucht, arbeitete Claus Bach, der mit „Kopfhörer“ - eine beiden einzigen Farbserien der Ausstellung - eine eigene Zeichensymbolik entwickelte. Nebenbei verrät die hochwertige formal-technische Umsetzung aller gezeigten Arbeiten etwas über die hohen Ausbildungsstandard für Fotografie in der DDR. Der Kulturbund hat eine sehenswerte Auswahl vorgenommen, die tatsächlichen Messbildern gleichen. Der Betrachter kann an ihnen ermessen, wie weit der Künstler seine Freiheit suchte, und wo sich der Staat in ihm erfüllen wollte. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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