Von einer Souffleuse oder einem Souffleur noch nichts Konkretes gehört zu haben, ist für den im Parkett sitzenden Zuschauer nichts Besonderes und für sie oder ihn nichts Ehrenrühriges. Zählt es doch zum Ethos einer Souffleuse oder eines Souffleurs, unsichtbar und leise aufzutreten. Auch Jürgen Conrath war eine „Flüstertüte“, wie man in der langen Theatergeschichte solch’ künstlerischen Mitstreiter auch nennt.
Der gebürtige Potsdamer verschwand 36 Jahre lang am Hans Otto Theater in der Versenkung, im Haus in der Zimmerstraße, in der „Blechbüchse“ oder im Schlosstheater im Neuen Palais. Von der Unterbühne, von den Seitenbühnen, manchmal auch von der ersten Reihe im Zuschauerraum hat er den Sängerinnen und Sängern zu ihrem Stichwort verholfen, den Darstellern vom geschminkten Gesicht abgelesen, ob sie in einer Oper auf den nächsten Rezitativanfang von selbst kommen oder Hilfe benötigen. Nach zweimal anderthalb Stunden konzentrierter Mitarbeit wusste er, was er getan hat. Wohl in allen Proben und in jeder Vorstellung war auch Jürgen Conrath denen, die auf der Bühne standen, ein guter und beruhigender Geist. Mit Herz und Mund war er dabei. Ihm wurde 2001 der Theaterpreis des Fördervereins des Hans Otto Theaters zugesprochen.
Conrath, der zunächst als Techniker und als Inspizient am Hans Otto Theater arbeitete, liebte das Geschehen auf der Bühne leidenschaftlich. Besonders im Musiktheater fand er seine Heimat. Opern und Operetten kannte er textlich und musikalisch aus dem Effeff. Die Oper bestimmte auch seinen Feierabend. Eine umfangreiche Schallplattensammlung mit vielen historischen Aufnahmen hat Jürgen Conrath sich angeschafft. In den vergangenen Jahren auch DVDs. Mit ihnen konnte er sich noch einmal hineinträumen in eine Zeit, in der die Musiktheaterwerke so über die Bühne gingen, wie es die Opernlexika beschrieben. Viele heutige Interpretationen waren dagegen nicht seine Sache.
Jürgen Conrath besaß wohl die umfangreichste und akribisch genaueste Sammlung von Szenenfotos und Besetzungszetteln sämtlicher Aufführungen des Hans Otto Theaters von den fünfziger Jahren bis zu seinem Ausscheiden 2003. Potsdamer Theatergeschichte mit unvergesslichen Aufführungen, Schauspielern, Sängern, Regisseuren und Dirigenten wird beim Durchblättern der Alben noch einmal lebendig. Er gehörte wie viele andere Mitarbeiter und Künstler des Theaters selbst zu denen, die die Qualität der Vorstellungen mit garantierten, 47 Jahre lang. Am Dienstag ist Jürgen Conrath mit 71 Jahren gestorben. Klaus Büstrin
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